Der Heilige Krieg
sich austauschen und organisieren kann. So erzwangen die friedlichen Demonstrationen Tausender Ägypter auf dem »Platz der Freiheit« in Kairo den Rücktritt des korrupten Machthabers Mubarak. Sie zeigten, was mit zivilem Ungehorsam, mit Solidarität und Bürgersinn erreicht werden kann.
»Die Revolutionen in der arabischen Welt im Jahr 2011 sind eine ganz schwere strategische Niederlage für Al-Qaida. Zwar werden hier einige der Ziele der Organisation erreicht, beispielsweise der Sturz des Regimes von Mubarak in Ägypten, aber es sind gleichzeitig die schlimmsten Feinde des Terrornetzwerks, die hier große Erfolge haben feiern können. Da sind liberale Demokraten dabei, Menschenrechtler, Blogger, Frauen, Frauen moderner Prägung.«
Dr. Guido Steinberg,
Islamwissenschaftler
bei der Stiftung Wissenschaft
und Politik
Diese friedliche Revolution macht deutlich, wie gestrig die Vision militanter Islamisten ist, die mit Gewalt eine religiös dominierte Ordnung herbeibomben wollten. Auch die nichtmilitanten Muslimbrüder, die in Ägypten nach einer Rolle innerhalb der Revolution suchen, haben es schwer mit ihren Parolen. Religiöse Autoritäten wie der Großmufti von Ägypten, Ali Gomaa, sehen in der jüngsten Entwicklung eine große Herausforderung für die Fundamentalisten. »Die Demokratie wird die islamistischen Bewegungen auf den Prüfstand stellen. Sie müssen nun Programme und eine politische Botschaft formulieren, die dem ägyptischen Mainstream entgegenkommt. Jede Tendenz zum Radikalismus wird nicht nur gesetzeswidrig sein, sondern wird sie auch politisch marginalisieren. Nachdem die Ägypter die schwere Bürde autoritärer Herrschaft abgeschüttelt haben, werden sie sie nicht wiederhaben wollen, wenn sie im Mantel der Religion daherkommt«, schrieb er im März 2011 in einem Gastbeitrag für die New York Times . Die Revolutionen zeigten indes nicht nur, dass die Islamisten überholten Vorstellungen anhingen. Die Entwicklung macht auch deutlich, wie wenig zukunftsorientiert die Botschaft der USA und des Westens an die Araber war. Sie lautete seit Jahrzehnten: Stabilität geht vor Demokratie – der Westen unterstützt jeden noch so korrupten Despoten, damit die muslimischen Länder nicht in die Hände radikaler Islamisten fallen. Damit wurde in den arabischen Ländern jeder Modernisierungsansatz erstickt. Und im Westen gaben sich viele dem Glauben hin, dass die Araber nicht reif oder fähig zur Demokratie seien. All das lastete schwer auf den arabischen Gesellschaften – und es trieb viele in eine antiwestliche Haltung.
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12. Februar 2011: Tausende Ägypter bejubeln auf dem Kairoer Tahrir-Platz, dem Epizentrum der Revolte, den Sturz Hosni Mubaraks.
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In Tunesien begann Anfang 2011 der arabische Frühling – die Revolution einer modernen Jugend, die korrupte Diktatoren davonjagen will.
Eine der extremsten Formen des Widerstands gegen die Ordnung der vergangenen fünfzig Jahre war der »moderne Dschihadismus«. Er ist ein Resultat der spät- und postkolonialen Weltordnung des 20. Jahrhunderts. Genährt wurde er durch den Afghanistankrieg der Sowjets und noch verschärft durch die politische und wirtschaftliche Einflussnahme Amerikas auf den Nahen Osten. Den USA ging es zu oft nur um die kurzfristigen eigenen Interessen, dies schuf einen Nährboden für weit verbreitete antiamerikanische Ressentiments. Diese Gefühlslage brachte eine Handvoll Fanatiker hervor – und die verstanden es, aus nationalen Widerstandsbewegungen für kurze Zeit eine übernationale islamistische Terrortruppe zu schmieden. In einigen arabischen Staaten gab und gibt es für diese Bewegung ein engeres Umfeld von Unterstützern. Reiche Privatleute in Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten betätigen sich als Spender. Dazu kommt eine Sympathisantenszene, deren Mitglieder in unterschiedlicher Intensität die Vorstellungen der Dschihadisten befürworten. Für einige Jahre vermochte Al-Qaida weltweit koordinierte Aktionen zu planen, die mit den Anschlägen von New York ihren traurigen Höhepunkt erreichten. Klar ist aber auch: Ohne entscheidende Persönlichkeiten wie Abdallah Azzam, Ayman al-Zawahiri und Osama bin Laden hätte der Terrorkrieg der Dschihadisten nie stattgefunden. Und es hätte keinen Tag des Schreckens am 11. September 2001 gegeben.
Trotz dieses Schocks zu Beginn des neuen Jahrtausends, trotz der nachfolgenden Kriege blieb bislang der »Kampf der Kulturen«, den der US-Professor Samuel Huntington bereits
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