Der Heilige Krieg
durch geschicktes Verhandeln. Die Muslime durften ihre heiligen Stätten weiter ungehindert besuchen, ein historisch einmaliger Vorgang in den Beziehungen zwischen Orient und Okzident.
Die Türken vor Wien
Die Angst, von den Osmanen unterjocht zu werden, gehörte zu den Traumata des frühneuzeitlichen Europa. Ihre Kriegführung war begleitet von verheerenden Zerstörungen und Plünderungen. Doch wurde die »Türkenfurcht« auch propagandistisch überhöht. Die Kirche bezeichnete die Osmanen als »Erbfeinde der Christenheit« und »Inkarnation des Teufels«, so große Ängste hatte der scheinbar unaufhaltsame Vormarsch der Osmanen bis nach Mitteleuropa wachgerufen.
Mit der Eroberung Konstantinopels 1453 war das Byzantinische Reich endgültig erloschen. Im Kampf um Ungarn geriet der Herrschaftsanspruch Süleymans I. (»des Prächtigen«) in direkte Konfrontation mit dem Reich der Habsburger. 1529 standen die Türken zum ersten Mal vor Wien, konnten die Stadt jedoch nicht erobern. Die Päpste des 16. und 17. Jahrhunderts verfassten Kreuzzugsaufrufe. Eine »Heilige Liga« sollte den Kampf gegen die »Ungläubigen« aufnehmen. 1683 starteten die Osmanen einen erneuten Versuch, nach Mitteleuropa vorzustoßen und Wien zu erobern. Dabei wurden wieder Dschihad-Parolen laut, auch wenn es nach erfolglosen Beutezügen vor allem um militärische Mobilisierung ging. Um die Türken zu stoppen, verbündeten sich auch ansonsten heillos zerstrittene christliche Mächte. Das katholische Frankreich, das eine Übermacht der Habsburger fürchtete, paktierte hingegen mit den Türken. Nach der Niederlage vor Wien wurden die Osmanen tief in den Balkan zurückgedrängt. Obwohl ihr Reich in den folgenden Jahrhunderten seine Weltmachtstellung verlor, blieb das bedrohliche Bild erhalten. Gleichzeitig
aber hatte die türkische Präsenz auf europäischem Boden für einen fruchtbaren kulturellen Austausch gesorgt. Gehört die Türkei zu Europa? Die heute mit großer Leidenschaft geführte Diskussion berührt tiefgreifende Identitätsfragen und weckt dabei Erinnerungen an Jahrhunderte wechselvoller Erfahrungen.
Dschihad für den Kaiser
Während des Ersten Weltkriegs zeigten sich einmal mehr die Willkür und die Arroganz der Kolonialmächte Europas im islamischen Raum. Vor allem Briten und Deutsche spielten die Konflikte zwischen Arabern und Osmanen gegeneinander aus, um sie für eigene Kriegsziele zu instrumentalisieren. Der Archäologe und Geheimagent Thomas Edward Lawrence forcierte in britischem Auftrag den Aufstand der Araber gegen das mit Deutschland verbündete Osmanische Reich. Anderthalb Jahre dauerte sein Guerilla-Feldzug zur Vertreibung der Türken. Sein Gegner und Pendant auf deutscher Seite war ein nicht weniger schillernder Zeitgenosse, ein Sprössling des Kölner Bankhauses Sal. Oppenheim. Max von Oppenheim sollte die Osmanen im Auftrag des deutschen Kaisers zu einem »Heiligen Krieg« der Muslime gegen die Feinde Deutschlands anstacheln, gegen Frankreich, England und Russland. Im November 1914 verkündete der türkische Sultan tatsächlich den »Dschihad« gegen die Westmächte. Mit deutschen Waffen wurden militärische Operationen durchgeführt, Putsche initiiert, Attentate und Sprengstoffanschläge verübt. Doch gingen die Berliner Dschihad-Pläne nicht auf. Die arabischen Muslime folgten nicht Max von Oppenheim, sondern dem charismatischen Lawrence von Arabien. Der aber sah sich am Ende selbst getäuscht, da die Versprechungen, die er den Arabern im britischen Namen gemacht hatte, vom Empire nicht eingelöst wurden. Die nach dem Krieg von den Siegermächten im Nahen Osten vorgenommene Grenzziehung hatte weitreichende Folgen und schuf Grundlagen für den noch heute andauernden Nahostkonflikt.
Terror für den Glauben
Juni 2001: Per Videoband kündigte der selbst ernannte Gotteskrieger Osama bin Laden den Terrorakt an: »Mit einfachen Mitteln und mit unserem Glauben können wir die größte Militärmacht der modernen Zeit
besiegen.« Wenige Monate später schlugen seine Gefolgsleute zu. Die Bilder des 11. September 2001 gingen um die Welt, der beispiellose Anschlag veränderte das internationale politische Gefüge. Eine tiefe Kluft zwischen der westlichen und der muslimischen Hemisphäre schien sich aufzutun. Doch sahen maßgebliche islamische Rechtsgelehrte in Bin Ladens Aufruf zum »Heiligen Krieg« eine Anmaßung. Nie zuvor brandmarkten so viele moderate Stimmen aus muslimischen Ländern den willkürlichen Missbrauch des
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