Der Heilige Krieg
»Dschihad« und verurteilten das beispiellose Verbrechen. Doch bei militanten Islamisten, den Taliban und anderen Terrorgruppen des Nahen Ostens fand Al-Qaida Unterstützung.
Schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts gab es fundamentalistische muslimische Strömungen, die für die offenkundige ökonomische und politische Rückständigkeit der islamischen Welt vor allem einen Grund sahen: Fremdbestimmung, moralische Unterwanderung und Okkupation durch den Westen. So beschworen etwa die »Muslimbrüder« in Ägypten den »Dschihad« gegen alle äußeren und inneren Mächte, die zu dem angeblichen Verfall beitrugen. Seit der Staatsgründung 1948 galt Israel als Stachel im Fleisch der islamischen Welt. Die Eroberung der Altstadt von Jerusalem im Sechstagekrieg 1967 verschaffte dem jüdischen Staat auch die Kontrolle über heilige Stätten des Islam – aus muslimischer Sicht kann dies als Grund für einen »Dschihad« in Permanenz gelten, bis die Heiligtümer zurückgewonnen sind. Nach dem ersten Golfkrieg 1991 blieben US-Truppen in Saudi-Arabien stationiert. Für radikale Islamisten wie Osama bin Laden wurde diese Präsenz zu einem Stein des Anstoßes – sein Hass richtete sich fortan vor allem gegen Amerika. Die Anwesenheit von US-Truppen auf »heiligem Boden« nahm er als Vorwand für eine Serie blutiger Anschläge, die am 11. September ihren zerstörerischen Höhepunkt erreichten. Der Urheber wurde zehn Jahre danach getötet. Inwiefern sich Al-Qaida wirklich als eine Hydra erweist, bei der neue Köpfe nachwachsen, wenn man den einen abschlägt, ist derzeit noch Spekulation.
Wofür aber steht der 11. September 2001 – war es nur die Tat einiger Extremisten, die sich damit auch in der muslimischen Welt völlig isolierten? Oder handelt es sich um die Zuspitzung eines latent schwelenden Konflikts zweier Hemisphären?
Mitte der 1990er-Jahre hat ein Buch von sich reden gemacht: Clash of Civilizations von Samuel Huntington. Der Autor prophezeite den »Kampf der Kulturen«, den unausweichlichen Konflikt zwischen dem Islam und dem Westen, zwischen Morgenland und Abendland. Nachdem sich der Kommunismus als »Reich des Bösen« verabschiedet hatte, sahen er und andere besonders besorgte Skeptiker die Gefahr, dass nun fundamentalistische Muslime zum Sturm auf die Bastionen des Wohlstands, der Freiheit und der Demokratie ansetzen. Manche islamistischen Scharfmacher geben solchen Annahmen durchaus Nahrung: Al-Qaida-Führer behaupten, die ganze Welt habe sich gegen sie verschworen, also sei die ganze Welt, vor allem die westliche, auch ihr Schlachtfeld.
Nicht wenige Menschen halten daran fest, dass der »Clash« unausweichlich sei, und sie beziehen sich dabei auf tatsächliche oder vermeintliche Erfahrungen aus der Geschichte. Andere Beobachter siedeln den Konflikt eher innerhalb der islamischen Welt an. Der Kampf radikaler Islamisten gegen westliche Okkupation und Bevormundung, gegen den Einfluss fremden Denkens und den Verfall des Glaubens, werde vor allem auf eigenem Boden ausgefochten. Dazu zählt auch die Rückgewinnung »muslimischen Landes« aus den Händen säkularer, korrupter und vom Westen gestützter Regime. Es sei ein Ringen um die Seele des Islam selbst. Ein Kampf, der in Afghanistan, im Irak, in Saudi-Arabien, Ägypten und Pakistan gewonnen oder verloren werde. So fordert der angebliche »Heilige Krieg« von Al-Qaida und anderen »Dschihadisten« in den vergangenen Jahren vor allem Opfer unter Glaubensbrüdern. Männer, Frauen und Kinder, die auf Märkten und anderen öffentlichen Plätzen von den Bomben der Selbstmordattentäter zerrissen wurden. US-Präsident Barack Obama betonte nach der Tötung des »Staatsfeindes Nr. 1« der USA im pakistanischen Abbottabad nicht ohne Grund, dass Bin Laden »kein muslimischer Führer« gewesen sei, sondern ein »Massenmörder von Muslimen«.
So gibt es nur wenige Anzeichen für einen Krieg der Welten. Die Brandherde – vom Bombenterror im Palästinakonflikt über die Anschläge in Afghanistan, im Irak und in Pakistan bis zu den Drohungen Irans an Israel und die Al-Qaida-Aktivitäten in Europa – haben keinen gemeinsamen
Ursprung. Die heutige Lage ist vielschichtig und unübersichtlich. In über vierzig Staaten der Erde stellen Muslime die Mehrheit der Bevölkerung; in etwa der Hälfte von ihnen gilt der Islam, die »Hingabe an Gott«, als Staatsreligion. Zu den islamisch geprägten Ländern zählen einige der reichsten der Welt und einige der ärmsten. Die
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