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Der heilige Schein

Der heilige Schein

Titel: Der heilige Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Berger
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Gottesdienstes, wer wann in welche Richtung und wie tief eine Verbeugung oder Kniebeuge macht, wie oft und mit welchem Winkel zwischen Unterarm und Hand das Weihrauchfass gegen die erhobene Hostie zu schwingen ist, wann die Altarglöckchen von den Ministranten geläutet werden dürfen und wann sie zu schweigen haben - nichts war zufällig. Alles folgte einem seit Jahrhunderten unter Aufsicht des päpstlichen Hofstaates, der »Römischen Kurie«, nur leicht modifizierten Ritual. Kritisch, kreativ und phantasievoll war genau das, was man unter Strafandrohung durch das Kirchenrecht in der tridentinischen Liturgie nicht sein durfte.
    Auch das demokratische Grundprinzip, mit dem die menschlichen Beziehungen meines bisherigen Lebens mehr oder weniger erfolgreich gestaltet worden waren, hatte hier keinerlei Geltung. Hatten wir bei meiner ersten heiligen Kommunion zusammen mit den konzelebrierenden Priestern auf einer Stufe rund um den Altartisch gestanden und mit ihnen die Messe als Gemeinschaft der Glaubenden gefeiert, die von Gott alle gleich geliebt werden, so gab es hier eine klare Trennung zwischen Klerikern und Laien. Es waren eben nicht alle gleich, weil nicht gleichermaßen von Gott geliebt und auserwählt. Dieser Fatalismus und zugleich das Gefühl, zu den Erwählten zu gehören, faszinierten mich.
    Viele Jahre beschäftigte mich das Zitat des bedeutenden Kirchenlehrers Thomas von Aquin, das man mir während Exerzitien kurz vor meinem Abitur als metaphysisch zwingendes Faktum mitgegeben hatte: »Niemand wäre besser als der andere, würde er nicht von Gott mehr geliebt.« [6] Nicht an uns Menschen lag es also, dass es diesen Unterschied und damit eine klare Hierarchie gab, sondern an Gott selbst, der seine Liebe ganz unterschiedlich austeilte und damit die einen benachteiligte, die anderen bevorzugte.
    Damit war die Hierarchie nicht mehr unserer Wahl anheimgegeben, sondern zu einem nicht hinterfragbaren Faktum geworden. Es war eben jene Hierarchie, die wiederum festlegte, wer genau von Gott zu was auserwählt war und wie sich folglich das katholische Kastensystem gliederte.
    Den Laien ist in der tridentinischen Liturgie der Kirchenraum vor der Kommunionbank zugewiesen: Sie sind stumme Zuschauer eines Schauspiels, das sich in seiner ganzen Pracht vor ihren Augen entfaltet. Die Kleriker sind im Chorraum aktiv und werden durch eine Chorschranke deutlich von den Laien abgetrennt. Das Schauspiel, das sie im Chorraum aufführen, ist das exakte Spiegelbild einer hierarchisch strukturierten, absolutistisch regierten Kirche. Am deutlichsten wird dies im sogenannten levitierten Hochamt, der feierlichsten Form der tridentinischen Liturgie: Im Mittelpunkt steht hier der ranghöchste Priester oder Bischof. Ihm hat der ranghöchste Diakon zu dienen, indem er sich vor ihm verbeugt, ihm den Chormantel hält usw. Dem ranghöchsten Diakon dient der Subdiakon, der wiederum von Trägern der niederen Weihen, wie Akoluthen oder Exorzisten, bedient wird.
    Dabei werden die Rangunterschiede nicht nur durch genauestens in den »Rubriken« festgelegte Handlungskonstellationen sichtbar, sondern auch durch eine ganz bestimmte, aus dem frühen Mittelalter stammende Kleiderordnung: Der Subdiakon trägt über der Albe eine Tunicella mit Manipel, der Diakon eine Dalmatik mit quer angelegter Stola und Manipel, der Priester eine Casel mit gekreuzter Stola und Manipel, der Bischof alle diese Gewänder übereinander, als Kopfbedeckung dazu noch die Mitra und in der Hand den Bischofsstab. Sollten mehrere Bischöfe aufeinandertreffen, ist ebenfalls genau geregelt, welcher von ihnen seine Kopfbedeckung aufbehalten und wer sie ablegen muss. Diese bis in die kleinsten Kleinigkeiten festgelegte Ordnung der Kleider und der zugehörigen Accessoires hat nicht nur die Funktion, eine Hierarchie widerzuspiegeln. Die nur im Gottesdienst getragenen Kleider lassen das Individuum zugunsten des Amtes unsichtbar werden, der Einzelne kann sich sozusagen hinter seiner Verkleidung »verstecken«. Innerhalb dieses Systems verschwindet die Persönlichkeitsautorität zugunsten der Amtsautorität: Nicht mehr was der Geistliche sagt, ist von Bedeutung, sondern die Tatsache, dass er es in seiner Rolle als Geistlicher sagt und befiehlt, bindet mich und verlangt von mir heiligen Gehorsam. Die vieldiskutierte päpstliche Unfehlbarkeit, die jeden Katholiken zu absolutem Gehorsam verpflichtet, ist die Krönung der amtsautoritären Struktur der katholischen Kirche.
    Eine demokratisch

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