Der Henker von Lemgo
Lassen wir die Kirche und den Adel endlich für den Schutz
unserer Mauern zahlen. Was die Goldschmiede sagen, gilt für alle Gildemeister.
Keine ungerechte Schatzung mehr.«
Die Bürgermeister
sahen sich an, die Domherren im Rat wechselten Blicke untereinander. Leent
wusste, was sie alle dachten. Die Handwerker taten sich heimlich zusammen,
sprachen sich ab. Leents Unterarm brannte, kehrte seine Jugendzeit zurück? Es
war gewiss kein Zufall, dass Husbeek am einen und Knuf am anderen Ende des
Tisches stand und dazwischen die reichen Kaufherren saßen. Leent blickte auf
das weiße Leinen auf dem Tisch, feines, gestempeltes Leinen erster Wahl,
Osnabrücker Leinen. Er griff zum Lederbeutel, den Husbeek geworfen hatte, zog
am Bändchen. Schweigen fiel über den Saal.
Zwischen den
Fingern spürte Leent ein paar Münzen im Leder. »Seid vernünftig. Eure Freiheit
ist unsere Freiheit. Verspielen wir sie nicht. Wir brauchen eine starke Wehr.
Mögen die Kaufleute zu jeder Münze, die die Handwerker in die Schatzungstruhe
der Stadt legen, zwei hinzutun.«
Terbolds Hals
wurde lang wie beim Rehbock. Er streckte den Finger aus und zeigte auf den
Beutel. »Seid Ihr verrückt, Leent? Ihr könnt das ja gerne machen. Aber ich
zahle nicht mehr als die Handwerksleute.« Der schmale Kopf zuckte einmal
zwischen Husbeek und Knuf hin und her.
Es polterte unter
dem Boden zu ihren Füßen. Ausgerechnet jetzt, wo er die Schatzung durch den Rat
bringen wollte. Im Erdgeschoss riefen Stimmen durcheinander. Leent legte den
Lederbeutel neben seinen Becher. Die Ratsherren drehten die Hälse zur Tür.
Husbeek kam die
drei Schritt heran. Seine Wangen glänzten hitzig, als hätte er am Feuer seiner
Schmiede gestanden. Die blauen Augen blickten kühl, der linke Mundwinkel zuckte.
Er langte über den Tisch zum Lederbeutel. »Den braucht Ihr wohl nicht mehr.«
Der Knecht, der an
der Ratstür Wache hielt, schrie etwas. Dann flog die Tür auf.
»Wer wagt es …?«
Doch die Stimme des Ersten Bürgermeisters erstarb. Kinker, der Stadtscherge,
schwankte, auf den Knecht gestützt, herein. Er brachte kaum die Worte heraus.
»Der Leggemeister … der Reker liegt erschlagen … vorm Augustinerkloster.«
Leent starrte den
Büttel an, dessen Wangen so fahl wie Zinn waren. Der kluge Tomas Reker … der
hätte eben für die Schatzung gestimmt.
3.
»Zermalmt ist
seine Kehle …«
»… nein, das
Genick, ich hab’s gesehen.«
»Erwürgt ist er
worden, sagt meine Frau.«
»Hat man ihn nicht
aufgeschlitzt?«
»Nein, erstochen.«
Jeder von den
Leuten, die am Stand der alten Quindt drängten, wusste etwas anderes zu
berichten. Eben noch war der jungen Margit Vrede der Einkauf lästig gewesen,
jetzt hätte sie nirgends lieber stehen mögen als mittendrin. Sie stellte sich
auf die Zehenspitzen, das Stirntuch flatterte vor ihren Augen. So fein der
Brüsseler Schleier auch war, jetzt war er zu dicht.
»Seht Ihr etwas?«,
fragte Eisel.
»Die ganze Straße
ist voller Menschen.« Ihre Magd war kleiner als sie und sprang immer wieder
neben ihr hoch. Gleich würde das Salzsäckchen im Korb umkippen. Die alte Quindt
band es nie fest genug zu. »Bleibe gefälligst stehen, denk an das Salz. Oder
willst du mir das Geld ersetzen?«
»Nein, Herrin.«
Gleich würde Eisel
wieder beleidigt sein, das würde ihr nur den Tag verderben. Eisel war gerade
erst fünfzehn, aber mit den Frauendingen kannte sie sich längst besser aus als
Margit. Alle Welt wusste, wie es in den Dienstkammern und Scheunen zuging. »Ich
kann doch nichts dafür, dass die Leute hier größer sind als du.« Margit hängte
sich unter dem braunen Hemdsärmel Eisels ein. »Der Stadtbüttel treibt die
Bettler die Große Straße herunter.«
»Für heute habe
ich genug stinkende Leute erlebt.«
»Beschwere dich
nicht.« Sie gingen immer nur ganz kurz ins Armenhaus der
Fronleichnamsbruderschaft. »Vater will, dass wir viel Almosen geben.«
Ein Mann am
Salzstand drehte sich plötzlich um und fuchtelte mit einem gichtigen Finger vor
ihrem Gesicht herum. »Ihr habt ja auch das meiste in der Stadt zu verteilen.«
Dem Mann fehlten
die oberen Zähne, den schwarzen Lederstiefeln nach mochte es ein Gerber sein.
Margit hatte ihn schon einmal im Geschäft mit Vater an der Truhe mit den
Edelsteinen stehen sehen. Auch war sein Mantel sehr sauber. Sie wies mit
ausgestrecktem Arm auf die Nikolaikirche, deren Dach über den Marktbuden
hochragte. »Was wollt Ihr von mir? Die Vredes haben der Kirche dort die
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