Der Henker von Paris
sparen können. Und mir all denKummer, den du mir bereitet hast. Hattest du es denn besser in der Armee? In der Neuen Welt habt ihr doch die Wilden gleich im Dutzend niedergemetzelt. Dein Vater ist nie darüber hinweggekommen. Ich musste ihm am Sterbebett versprechen, dass ich dich finde, damit du das Erbe fortführst. Er sagte, ich solle dir sagen, dass du dem Fluch nicht entkommen kannst. Es ist die Erbsünde der Sansons.«
Jeanne servierte der Frau einen Teller Suppe und setzte sich wieder an ihren Platz. »Sie sind die Mutter?«, fragte sie scheu.
»Er hat dir wohl nie von mir erzählt? Das passt zu ihm.« Sie warf ihrem Sohn einen verächtlichen Blick zu und schaufelte die Gemüsesuppe in sich hinein. Sie schaute kurz auf und verlangte nach Brot und mehr Wein. Dann sah sie Charles im Türrahmen stehen. »Wer ist denn der da?«
»Das ist mein Sohn Charles. Seine Mutter ist gestorben. Sie war die Tochter von Meister Jouenne …«
»Ach, der Riese aus der Normandie. Du wirst sehen, der Kleine wird auch ein Riese. Ich erkenne das am Handgelenk. Komm her, mein Junge.« Charles näherte sich zögerlich. Sie ergriff seine Handgelenke und murmelte: »Jaja, das wird ein Riese.« Sie schaute Charles in die Augen. »Ich bin deine Grossmutter. Willst du mir keinen Kuss geben?« Charles rührte sich nicht von der Stelle. Sie zuckte kaum merklich mit den Schultern und ass weiter.
»Als dein Vater starb, habe ich wieder geheiratet. Den Henker Dubut. Er soff wie ein Bürstenbinder. Er behauptete, dass man diesem Beruf nicht nüchtern nachgehen könne. Auch er hatte seine Frau verloren. Er war ein zartes Pflänzchen, das eine strenge Hand suchte. In einem eiskaltenWinter ist er auf der vereisten Holzbrücke Saint-Louis ausgeglitten und in den Fluss gestürzt. Als sie ihn herausfischten und im Hof des Gasthofes zum Bären aufbahrten, sah er aus wie ein Eiszapfen. Ich habe gesagt, ihr braucht ihn nicht aufzutauen und zu trocknen, bringt ihn gleich unter die Erde. Seitdem habe ich die Nase gestrichen voll von Männern. In jungen Jahren sind Männer durchaus unterhaltsam, aber später werden sie zum Ärgernis, und wenn sie den Beruf aufgeben, stehen sie nur noch blöd herum und wollen einem beibringen, wie man einen Haushalt führt. Dabei können sie nicht mal ein Ei kochen.« Sie schaute kurz zu Jeanne. »Gib mir noch mehr. Ich habe eine lange Fahrt hinter mir. Kannst du überhaupt kochen?«
Jeanne nickte und schöpfte ihr nach. »Du hast ein gebärfreudiges Becken, Mädchen. Ihr werdet mir noch viele Enkel schenken. Da werdet ihr Hilfe brauchen.«
Jean-Baptiste, Jeanne und Charles erschraken. Grossmutter Dubut bot ihre Hilfe an. Das klang wie eine Drohung. Sie nahm zur Kenntnis, dass niemand über ihre Ankunft begeistert war, aber es war ihr gleichgültig.
»Mutter«, begann Jean-Baptiste leise, aber sehr bestimmt, »ich bin nicht mehr dein kleiner Junge. Ich war drüben im Krieg, als Offizier. Ich habe ein Bataillon kommandiert. Also sag mir nicht, was ich zu tun habe.«
»Jaja. Selbst wenn du General bist, bist du noch mein Junge. Und ich sage dir noch was: Ich gehöre nicht zu den alten Weibern, die sich stumm in einer Ecke verkriechen und ihr Gnadenbrot in heisse Milch tunken. Ihr braucht hier jemanden, der Erfahrung hat und euch zur Hand geht.«
Von diesem Tag an herrschte Grossmutter Dubut über den Haushalt der Sansons. Sie war trotz ihres fortgeschrittenen Alters ein Energiebündel, das ihre Mitmenschen so behandelte, als seien sie allesamt Häftlinge auf ihrer imaginären Galeere, die sie mit wuchtigen Trommelschlägen antrieb. Wie eine feindliche Kavallerie war Grossmutter Dubut in Paris eingefallen. Jetzt war sie hier. Und hier wollte sie bleiben. Seltsamerweise konnte Jean-Baptiste der alten Frau nicht Paroli bieten. Zu tief waren Respekt und Gehorsam gegenüber der Familie verankert. Die Familie war so sankrosant wie Gott und seine Erzengel. Man konnte sich nicht dagegen auflehnen. Charles empfand nun fast ein wenig Mitleid mit seiner Stiefmutter Jeanne, die kaum noch etwas zu sagen hatte. Sie hatte wieder die Stellung einer Magd, einer gebärenden Magd. Der neue General im Haus hatte sie dazu degradiert.
Nach der Geburt des siebten Kindes starb Jeanne. Sie starb, als habe sie sich der Herrschaft von Grossmutter Dubut entziehen wollen. Nun wollte Charles endgültig dieses fürchterliche Haus verlassen. Er begriff allmählich, in welche Familie er hineingeboren worden war. Allesamt Henker. Es war eine
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