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Der Henker von Paris

Der Henker von Paris

Titel: Der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Cueni
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Körpers drückte auf den Adamsapfel und schnürte die Luftröhre zu. Dann brach das Genick. Bouvier strampelte noch einige Sekunden. Sein Körper erschlaffte, und er liess eine Menge Urin fliessen. Die Menge lachte und applaudierte erneut. Jouenne war sichtlich zufrieden mit der Darbietung. Seine Vorbereitung war tadellos gewesen: Er hatte die Länge des Seils mittels Körpergrösse und -gewicht berechnet. Ein kleiner Fehler hätte dazu führen können, dass Bouvier der Kopf abgerissen worden wäre. Das war in der Urteilsschrift nicht vorgesehen.
    Am Rande des Platzes erschienen berittene Soldaten. Sie bahnten sich einen Weg. Es waren Dragoner, sie trugen die weissen Uniformröcke des Regiments des Marquis de La Boissière. Sie umringten das Schafott. Jean-Baptiste rührte sich nicht von der Stelle. Er stand vor der offenen Falltür. Darüber baumelte immer noch der leblose Körper des Gehängten. Jouenne ging dem Kommandanten entgegen, der gerade die Treppe heraufkam und das Schafott betrat.
    »Wir haben eine Bekanntmachung zu verlesen«, sagte der Kommandant kurz angebunden und ging an Jouenne vorbei. Er entrollte ein Pergament und las der Menge die Botschaft vor. Die Dragoner suchten Deserteure. Einige waren bereits in der Neuen Welt geflohen, andere erst alssie französischen Boden erreicht hatten. Einigen wurde unterstellt, sie hätten in der Neuen Welt die Regimentskasse gestohlen und zwei Wachsoldaten getötet. »Für Hinweise, die zur Festsetzung der Gesuchten führen, hat der Marquis de La Boissière persönlich ein Kopfgeld von zwei Louisdor ausgesetzt.«
    Der Kommandant rollte das Pergament wieder zusammen und warf dem vermummten Gesellen einen prüfenden Blick zu. Dann sah er Jouenne fragend an.
    »Das ist mein Sohn«, sagte dieser mit fester Stimme.
    Der Kommandant verliess das Schafott und schwang sich wieder auf sein Pferd. Er gab den anderen Dragonern ein Zeichen, ihm zu folgen. Langsam bahnten sie sich einen Weg durch die Menge und verliessen den Platz.
    Schweigend sassen Jouenne und Jean-Baptiste auf der Holzbank des Fuhrwagens. Als sie die Stadt hinter sich gelassen hatten, fragte Jouenne: »Hast du die Regimentskasse gestohlen?«
    »Nein«, antwortete Jean-Baptiste. »Mag sein, dass das jemand getan hat am Tag, als ich heimlich die Armee verliess. Aber ich war’s nicht.«
    »Und woher hast du die Goldmünzen, die ich in deiner Satteltasche gefunden habe?«
    »Sie meinen das Gold, das Sie mir gestohlen haben? Ich hab’s beim Kartenspiel gewonnen.«
    »Darauf wär ich nicht gekommen«, brummte Jouenne. Er glaubte ihm kein Wort. »Und wieso hast du die Armee verlassen?« Als Jean-Baptiste nicht antwortete, warf ihm Jouenne einen strengen Blick zu.
    »Ich war in der Neuen Welt stationiert. Am Bœuf-Fluss. Gemeinsam mit den französischen Missionaren versuchten wir, den Handel der englischen Kaufleute mit den Indianern zu unterbinden. Wir nahmen die Indianer gefangen und verschifften sie als Sklaven auf unsere Plantagen in der Karibik. Schliesslich erhielten wir den Befehl, sie wie Kaninchen abzuschiessen. Es waren einfach zu viele. Dann kamen die Engländer und verbündeten sich mit einigen Stämmen. Wir kämpften gegen die Chickasaw, gegen die Natchez. Die Engländer schickten neue Schiffe mit Soldaten und bauten Forts. Wir bezahlten andere Stämme, um sie abzufackeln. Doch dann wurden viele krank. Sie starben wie die Fliegen. Kopfgeldjäger zogen ihnen die Kopfhaut ab. Für einen englischen Skalp zahlten die Geistlichen hundert Livre. Es war Sodom und Gomorrha. Unsere Regimenter wurden grausam dezimiert, und die Überlebenden wurden zu Kopfgeldjägern oder Goldschürfern, oder sie desertierten und kehrten nach Frankreich zurück. Ich hatte zu viele Gräuel gesehen.«
    »Dann hast du die Vorstellung heute gut vertragen?« Jouenne grinste.
    »In der Neuen Welt feuerst du Gewehrsalven auf fliehende Indianer ab, zündest ihre Dörfer an, aber du weisst nie, ob du einen tödlich verwundest hast, und du siehst nie ein brennendes Kind. Aber auf Ihrem Schafott, Meister Jouenne, riechst du sogar die Pisse, wenn das Genick bricht.«
    »Es gibt noch einen Unterschied«, sagte Jouenne. »In der Neuen Welt kriegt ihr fürs Töten Auszeichnungen, Orden, aber als Henker wirst du verschmäht und geächtet, obwohl du nur ausführst, was dir das Gericht befohlen hat. Wiekann man nur einen Menschen ächten, der genau das tut, was ihm die Gesellschaft abverlangt? Sie wollen die Raubmörder hängen sehen, aber sie

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