Der Herodes-Killer
«Die Verbindung ist schlecht, könnten Sie bitte lauter sprechen?»
«Ich bin Father Sebastian Flint.»
«Bruder Aidan hat Sie in der Nachricht erwähnt, die er mir auf Band gesprochen hat.»
«Können Sie die Nachricht für mich noch einmal abspielen?»
Rosen ging nicht auf diese Bitte ein.
«Die Technik ist eine großartige Sache, wenn man ein so einfaches Leben führt wie wir.»
Rosen blickte auf die finsteren Gesichter von Londons Drogendealern und sagte: «Bruder Aidan hat gesagt, dass Sie uns helfen könnten.»
«Ja, vielleicht kann ich das.»
Von seinem Schreibtisch aus hatte Rosen freie Sicht auf die geschlossene Tür des Büros von Chief Superintendent Baxter. Es war eine Tür, die ihm missfiel. Eine Tür zum verabscheuungswürdigen Zimmer eines Mannes, den er hasste.
«Schießen Sie los.»
«Ich habe vielleicht einige Informationen für Sie.»
«Bezüglich?»
«Könnten Sie zum St Mark’s kommen?»
«Zum St Mark’s? Bruder Aidan hat erwähnt, dass Sie in der Nähe von Faversham …»
«Kennen Sie die Gegend?», fragte der Priester.
«Allerdings», antwortete Rosen, in dessen Erinnerung Szenen aus seiner Kindheit wachwurden. «Wann würde es Ihnen denn passen?»
«Die Zeit ist nicht auf Ihrer Seite, Detective Rosen.»
«Es ist üblich, dass Leute, die bei einer Ermittlung helfen, in die Isaac Street kommen.»
«An dieser … Situation ist nichts Übliches. Es hat den Anschein, dass Sie Hilfe brauchen», sagte Father Sebastian. «Der Herodes-Killer hat sich durch das Nachbargebäude Zugang zum Haus der Catons verschafft. Nicht wahr, Mr. Rosen?»
Mit einer ruckartigen Bewegung setzte Rosen sich auf, gefesselt von dem Detail, das Flint so beiläufig erwähnte. Man hatte es zurückgehalten, sodass die Medien nicht darüber hatten berichten können. Rosen beschloss, dass er am nächsten Morgen als Erstes zum St Mark’s fahren würde.
«Was wissen Sie sonst noch, Father Sebastian?»
«Ein Motiv, ein konkretes Motiv für diese entsetzlichen … Handlungen.»
Ein Motiv? Ein konkretes Motiv? Für ein konkretes Motiv wäre er nackt über die Oxford Street spaziert, notfalls auch auf Händen. An dieser Information und dem Hilfsangebot war etwas faul.
«Father Sebastian, der einzige Mensch, der über das Motiv des Mörders Bescheid weiß, ist der Mörder selbst oder jemand, der den Mörder kennt, sein Vertrauter und Mitwisser ist … und ihn schützt.»
«Da bin ich anderer Meinung. Wir leben nicht voneinander abgeschlossen in einem Vakuum, ohne Ahnung von den Sorgen der Welt um uns herum und dem Universum im Allgemeinen.»
«Ich habe morgen etwas Zeit. Passt Ihnen acht Uhr früh?», fragte Rosen.
«Ach, wissen Sie, so beschäftigt bin ich nicht.»
«Ich muss Sie fragen, woher Sie sein Motiv kennen.»
«Vor einigen Jahren, Mitte der 1990er, arbeitete ich im Vatikan. Ich war der Hauptberater des Papstes zu allen Angelegenheiten, die das Okkulte betrafen.»
Bisher hatten drei Kriminalpsychologen unabhängig voneinander ein okkultes Motiv ausgeschlossen. Vier Psychologen stimmten darin überein, dass der Herodes-Killer der größte Frauenhasser war, allerdings mit einer christlichen Sehne in seinem Bogen.
Aber der Priester am anderen Ende der Leitung klang so sicher, dass er Rosen überzeugte.
Die Stimme seines Telefonpartners verstummte. Rosen ließ es zu, dass sich das Schweigen in die Länge zog.
«Sie müssen mir vertrauen, Detective Rosen. Ich kann Ihnen helfen. Sie wollen doch, dass ich Ihnen helfe, oder?»
Auf dem Schreibtisch stand ein Foto von Sarah, die in der Sonne lächelte. Es war im Sommer nach ihrem Nervenzusammenbruch und dem Klinikaufenthalt aufgenommen worden. Im Winter nach dem Tod ihrer Tochter Hannah hatte sie eine Depression erlitten und nicht mehr gegessen und getrunken. Das zweijährige Kind war ihnen ohne Vorwarnung durch den plötzlichen Kindstod entrissen worden. Sarah hatte mit aller Kraft gegen die Depression angekämpft, aber diese war der heimtückischste aller Dämonen. Er nahm das Foto in die Hand. Es war ein Schnappschuss der Liebe, ein Bild all dessen, was ihm teuer war und ihn ans Leben band. Es war eine schwierige Geburt gewesen und zwei Jahre später ein für beide unerträglicher Verlust.
«Wissen Sie, wo unser Kloster liegt?», fragte Father Sebastian Flint.
«Ja, das weiß ich. Ich habe dort als Kind Hopfen gepflückt.»
«Fürs Taschengeld?»
«Nein. Meine Mutter hat allein sechs Kinder großgezogen …» Rosen zügelte den plötzlichen und
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