Der Herr Der Drachen: Roman
Jared und das Lager gar nicht mehr, als ihm eine andere Gelegenheit, ein anderer Ort einfiel, als er die gleiche Vorahnung, die gleiche Übelkeit verspürt hatte. Er war vierzehn gewesen, und seine älteren Brüder, Söhne von Haldanes erster Herzenskameradin, waren gekommen, um sich zu verabschieden. Cale und Malshed waren im Begriff, gegen den Raknah-Clan um den See des Fünften Mondes zu kämpfen. Damals hatte er gehört, wie das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, in seinem Innern flüsterte. Schweiß rann nun von seinem Haaransatz den Nacken hinunter. Cale war aus der Schlacht gegen die Raknah nicht wiedergekommen, und Malshed ebenso wenig. Für viele hatte es keine Rückkehr gegeben.
Unsicher fuhr er sich mit der Hand über die Stirn und rieb sich dann über die Augen. Er war es so leid, diese Andersartigkeit in sich zu tragen: Es war nicht richtig, dass ein Mann so etwas spüren konnte. Er sah, wie Jared am Fuße der Düne ankam und stehen blieb, um mit Farrin zu sprechen. Gedämpft stieg Lachen zu ihm empor.
»Tallis!« Der Ruf seines Vaters riss ihn aus den Gedanken. Selbst von hier aus konnte er das verärgerte Stirnrunzeln auf seinem Gesicht erkennen. Es wäre besser, ihn nicht noch länger warten zu lassen. Tallis holte tief Luft und zwang seine Beine, sich in Bewegung zu setzen, einen Fuß vor den anderen, den weichen Sandhügel hinunter, während die Körper der toten Mar-Ratten auf seiner Hüfte wippten. Es musste eine Mahlzeit zubereitet werden, und es war nötig, noch mehr zu jagen. Sie mussten heute genügend Sandziegen fangen, um die vielen Familien beim Jalwalah-Brunnen satt zu bekommen. Er vergrub seine Ängste in den Tiefen seiner Gedanken. Später würde er noch genügend Zeit haben, darüber nachzusinnen. Abgesehen davon: Was sollte schon passieren hier in dem Land, das sie alle wie den Schoß ihrer Mütter kannten? Ohne Zweifel würden hier die Führer über sie wachen.
3
D ie Passiermarke?«
Der Wachmann am Tor zur Drachenanlage baute sich breitbeinig vor Shaan auf, eine Hand am Heft seines Messers. Shaan kramte in den Taschen ihrer Hose nach dem viereckigen Holzstück, auf dem ein Stempelabdruck mit dem Bild eines Drachen eingebrannt war.
»Wo ist denn der alte Wachmann Gringely?« Sie runzelte die Stirn. Ihre Hände waren an diesem Morgen zittrig und ihre Finger ungeschickt.
»Nicht hier.« Der Wachmann starrte mit gelangweiltem Ausdruck über ihren Kopf hinweg.
»Hat er sich gestern betrunken, oder ist er in einer Nebenstraße aufgeschlitzt worden, oder hast du vielleicht keine Ahnung?«, fauchte sie den Posten an.
Die Wache sah mit höhnischem Gesichtsausdruck zu ihr hinunter. »Geh hinein, Frau, und hör auf, mir auf die Nerven zu gehen.«
»Hier.« Endlich hatten sich ihre Finger um das kleine Holzstück geschlossen, das sie dem Mann unsanft in die Hand drückte.
Sein Mund zuckte, als er es einen Augenblick länger als nötig betrachtete, ehe er es ihr wieder zurückreichte. »In Ordnung, verschwinde.«
Shaan trat durch das Tor, und ihr Körper schmerzte bei jedem Schritt. Die Arme tief in den Taschen versenkt, trottete sie voran, und in Gedanken spielte sie den vergangenen Tag immer und immer wieder durch. Die Ereignisse auf dem Markt erschienen ihr wie ein seltsamer Traum. Es war doch eigentlich gar nicht möglich, dass ein Drache auf diese Weise Menschen angriff? Aber genau das hatte er getan, und die Sache war, dass sie sich irgendwie
mit ihm verbunden gefühlt hatte. Dieses Auge, das sie angestarrt hatte … Sie schüttelte ihren Kopf und rieb sich über die Gänsehaut auf ihren Armen. Es war ein sonderbarer Gedanke, und sie konnte sich nicht erklären, wieso er sich ihr aufgedrängt hatte.
Die Nachricht vom Angriff des Drachen hatte sich in der ganzen Stadt verbreitet, und bald darauf hatte die Führerin Flugblätter anschlagen lassen und Ausrufer beauftragt, die überall verkünden sollten, dass sich die Einwohner nicht zu fürchten bräuchten, dass der betreffende Drache krank gewesen und mittlerweile zurück auf die Dracheninsel geschickt worden sei. Aber der Schaden war angerichtet. Die Führerin kann so viele Verlautbarungen herausgeben, wie sie will , dachte Shaan; all das würde nicht ungeschehen machen, was die Menschen gesehen hatten und was sie einander erzählten. Die Gerüchteschürer hatten nun Öl für ihr Feuer.
Zum Glück war sie in der letzten Nacht von ihrem üblichen Traum verschont worden, aber sie war viele Male aufgewacht und hatte das Auge des
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