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Der Herr der Habichts - Insel

Der Herr der Habichts - Insel

Titel: Der Herr der Habichts - Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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zurückhalten.
    Er zog sein Messer aus dem Gürtel. Bedächtig und mit großer Ruhe hob er den Arm und zielte genau. Als der Krieger ihm das Gesicht zuwandte, schnellte das Messer von seinen Fingern, beschrieb einen silbrigen Bogen im strömenden Regen, senkte sich in die muskelbepackte rechte Schulter des Eindringlings und blieb tief im Fleisch stecken.
    Rorik wurde durch die Wucht des Wurfs nach hinten gerissen. Er taumelte, stürzte aber nicht.
    Brüllend warf er sich auf den nächsten Gegner, doch seine Bewegungen waren langsamer geworden, seine eisenharte Entschlossenheit schien angegriffen.
    Er taumelte, fand aber das Gleichgewicht wieder. Immer noch fuhr sein Schwert in mächtigen Schwüngen in den Kreis der Krieger.
    »Zurück!« schrie Gunleik. »Edmund, zurück! Ihr dürft ihn nicht töten!« Es konnte nicht mehr lange dauern. Er war schließlich ein Mensch, er war sterblich. Bald würden seine Augen von einem glasigen Schleier überzogen sein, sein kraftvoller Arm würde erlahmen, seine Eingeweide würden sich verkrampfen, und dann würde er zu Boden gehen.
    Rorik spürte keinen Schmerz, nur eine beißende Kälte, die ihm die Schulter zerschnitt. Er begriff nicht, noch nicht. Einen Moment stand er seltsam losgelöst neben sich. Da bahnte sich eine Frau ihren Weg durch den Kreis der Männer. Sie starrte ihn an, das Messer in seiner Schulter, dessen Griff im Regen glänzte. Rorik stand aufrecht, das Schwert kraftvoll über dem Kopf schwingend, das Messer in der anderen Hand nicht minder tödlich für jene, die sich zu nahe wagten. Im Blick der Frau lag Entsetzen. Aber wieso war sie hier? Wieso starrte sie ihn an? Wieso kam sie näher?
    Sie drängte sich zwischen zwei Männern hindurch und trat auf ihn zu. Er erkannte in ihr die schwarzhaarige Hexe, die ihn angelogen hatte, Einars Hure.
    »Mirana! Zurück!«
    Das war die Stimme des Mannes, dessen Messer bis zum Heft in seiner Schulter steckte. Der Mann, der seinen Kriegern befohlen hatte, ihn nicht zu töten. Die Frau achtete nicht auf ihn. Ein Krieger versuchte sie zurückzuhalten, doch sie schüttelte seine Hand ab. War sie verrückt? Glaubte sie, er wäre tödlich verwundet? Hielt sie ihn nicht für Manns genug, sie zu töten?
    Rorik starrte sie an. Eine Hexe. Eine irische Hexe mit schwarzem Haar, das naß an ihrem Kopf klebte und ihr Gesicht zur Totenmaske machte. Sie hatte keine Angst vor ihm, keine Regung zeigte sich in ihrem bleichen, regennassen Gesicht. Er starrte auf ihre ausgestreckte Hand, die ebenso weiß war wie ihr Gesicht. Sie kam, um ihn nach Walhall zu bringen. Eine Walküre. Doch Walküren waren hell und blond und üppig, nicht mager und knochig wie die da. Sie war sterblich — mit ihrem schwarzen Haar, das ihr an den Schultern und den Brüsten klebte. Sie war sterblich, und sie war seine Feindin. Wenn sie nah genug kam, würde er sie töten.
    Unfähig, den Blick von ihr zu wenden, blickte er auf ihre vor Kälte blau gefrorenen Lippen, hörte die Worte, die sie sprach, ohne sie zu verstehen. Eine magische Anziehungskraft ging von ihr aus. Nein, es war nur eine tödliche Schwäche, die ihn ergriff, in der er gefangen war wie ein Insekt im Spinnennetz. Die Schwäche lähmte ihn, drang bis in seine Seele, vernichtete ihn, Rorik Haraldsson, den tapferen Krieger. Er rang nach Luft. Er wußte, daß ein Messer in seiner Schulter steckte, dessen silbrige Schneide fast bis zum Heft in seinem Fleisch steckte. Er sah den weißen Horngriff. Die Schwäche floß träge in seine Beine.
    Die Hexe sagte mit leiser, sanfter Stimme: »Wirf das Schwert weg. Du bist verwundet. Es geschieht dir nichts. Ich schwöre es. Gib mir das Schwert!« Und sie streckte ihm die Hände entgegen, schmale, kleine Hände mit dünnen Gelenken, die er mit Leichtigkeit knacken könnte.
    Er runzelte die Stirn, da sie immer noch vor ihm stand, ungeschützt dem Regen ausgesetzt, furchtlos, obgleich er sie mit einem Schwertstreich niedermähen könnte. Ihre lächerlich schmalen Hände hielt sie ihm immer noch entgegen. Er wollte sie töten, wollte seine Hände um den weißen Hals schließen und zudrücken.
    »Komm, gib mir das Schwert.«
    Kopfschüttelnd trat er mit erhobenem Schwert einen Schritt auf sie zu, bevor er langsam in die Knie sackte. Er starrte auf den Schlick, spürte die Kälte des Regens, der ihn wie ein schweres Totenhemd umfing. Mit dem Gesicht nach vorne fiel er in den Dreck und dann erst zur Seite. Die Kälte des glitschigen Schlamms drang ihm bis ins Herz. Es war

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