Der Herr der Habichts - Insel
die gnadenlose Kälte der Niederlage. Er war geschlagen, ihm blieb nur der Tod.
Kapitel 2
Die schwarzhaarige Hexe beugte sich über ihn, ihr bleiches Gesicht ganz nah an seinem. Sie redete auf ihn ein, sanfte Worte raunend, die er nicht verstand. Er fragte sich benommen, was sie von ihm wollte, doch dann war es ihm gleichgültig. Er wollte sterben. Er hatte versagt, hatte seinen Vater und seine Mutter enttäuscht und verraten.
Mirana entfernte sich vom Bett. Der Mann lag in tiefer Bewußtlosigkeit. Gunleik beugte sich über ihn, seine Finger spannten sich um den Elfenbeingriff und zogen das Messer mit einem Ruck aus der Wunde. Ein Schwall dunklen, dicken Blutes quoll aus dem Einschnitt, lief seinen Arm entlang und sickerte in das dichte blonde Kraushaar auf seiner Brust. Rasch drückte sie saubere wollene Lappen auf die Wunde.
Gunleik wischte das Messer an seinem Wams ab, bevor er es in die Scheide gleiten ließ. Brummend schob er sie beiseite.
»Ich habe mehr Kraft«, sagte er, setzte sich neben den Verwundeten und drückte den Lappen auf die Wunde.
»Weißt du wirklich nicht, wer er ist?« fragte sie, während sie ihm den Schmutz vom Gesicht wusch.
»Nein. Einar hätte er wohl gesagt, wer er ist, hätte ihm dabei in die Augen geschaut und ihn kaltblütig getötet.«
»Warum willst du, daß er am Leben bleibt? Einar kennt nicht einmal Erbarmen mit einem Hühnerdieb. Was wird er mit diesem Mann tun?«
»Er wird ihn langsam und mit großem Vergnügen töten.«
Sie schwieg, trocknete ihm das Gesicht, das bleich und hohlwangig im fahlen Licht der Binsenfackel schimmerte.
»Laß ihn sterben«, sagte sie dann.
»Ich kann nicht. Meine Treue gehört deinem Bruder. Ich muß ihm die Entscheidung überlassen, was mit dem Mann geschehen soll. Außerdem müssen wir herausfinden, wer er ist. Wir müssen wissen, was er will, warum er Einar so sehr haßt. Der Mann hat vermutlich Verwandte. Sein Haß ist sehr tief. Nein, wir müssen wissen, wer er ist.«
»Frag seine beiden Leute, sobald sie wieder bei Bewußtsein sind.«
»Das tue ich. Aber ich zweifle, daß sie uns Auskunft geben. Nein, ich muß mit diesem Mann sprechen, und nur mit ihm, denn er ist ihr Anführer, und er lechzt nach Rache.« Der Mann würde nicht sprechen, das wußte Gunleik, nicht bevor er Einar sah, vielleicht nicht einmal dann, da er mit seinem Rachefeldzug gescheitert war. Vermutlich würde er sterben, ohne daß er und Einar erfuhren, wer er war.
»Wieso haßt er meinen Bruder so sehr?«
Gunleik drückte den Lappen fester gegen die Wunde und beobachtete stirnrunzelnd, wie das Blut weiterhin unter dem Druckverband hindurchsickerte. »Laß dir die Antwort von Einar geben. Vermutlich kennt er den Fremden, dessen Haß einem die Seele erfrieren läßt.«
»Er ist ein junger Mann«, sagte Mirana. »Mit seinem Silberhelm und dem Nasenschutz sah er furchterregend aus, wie ein Dämon. Aber er ist nur ein Mann und . . .«
»Ja, er ist nur ein Mann, Mirana, und er ist gut gebaut, ein starker, tapferer Krieger. Ich hoffe, daß Einar ihn wie einen Mann sterben läßt.«
Das hoffte auch Mirana, zweifelte allerdings daran, daß Einar sich den Spaß entgehen lassen würde, denn der Schmerz anderer bereitete ihm großes Vergnügen. Mirana wandte sich ab. Sie hatte ihn im Hof der Festung kämpfen sehen. Sein Schwert, das auf die Männer niedergesaust war, glänzte ebenso silbrig wie die beiden Silberreifen, die seine kraftvollen Oberarme umspannten. Er war ein muskulöser Riese mit goldblondem Haar und stämmigen, vor Kraft strotzenden Beinen. Er trug nur einen in der Mitte gegürteten Kittel und schwere Lederstiefel, die bis zu den Knien mit Lederriemen verschnürt waren.
»Ich schicke zwei Frauen, die ihm den nassen Kittel ausziehen und ihn waschen sollen.«
»Ich halte den Druck noch etwas länger auf der Wunde. Die Blutung läßt nach.«
Sie sandte Einars zwei Bettgefährtinnen. Sie war nicht aufrichtig zu sich selbst. Der Mann war wunderbar gebaut, hatte harte, gemeißelte Gesichtszüge. Ein schönes Gesicht mit edel geschwungenen goldenen Brauen und einer tiefen Hautfalte im Kinn. Sollten die lüsternen Närrinnen über seinem Körper seufzen und ihn begehrlich streicheln. Sie wollte sich nicht daran beteiligen, denn vor ihm lagen nur Kummer und Leid.
Es war spät geworden. Mirana sorgte dafür, daß die vier eigenen verwundeten Männer versorgt wurden. Keiner von ihnen würde sterben. Die beiden Gefolgsleute des Fremden lagen gefesselt in einem
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