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Der Herr der Ohrringe (German Edition)

Der Herr der Ohrringe (German Edition)

Titel: Der Herr der Ohrringe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myk Jung
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Norden, das sie Gondel nannten. Und sie machten sich keine Sorgen wegen der Nähe zum ehemaligen Land des Schattens: denn Saurum war in den Meeresschlund gerissen worden, wie sie genau beobachtet hatten; und so konnte er sie nicht mehr ärgern, wie er es vordem zu tun gepflegt hatte.
    So zumindest dachten sie, aber kaum hatten sie dies zu Ende gedacht, an einem vorsommerlich wirkenden Abend im späten April, während sie die Höhe der Türme ihrer neu errichteten Hochburgen verglichen, die sich diametral in einem weiten Tal gegenüberstanden, da trat Saurum unter sie, und er war von einem monochromen Wind herbeigeweht worden. Der Fiesling lachte voller Grimm und sprach: »Da bin ich wieder. Na, ich könnt’ mir vorstellen, dass ich euch wieder ein bisschen ärgern werde. Ich hab doch nichts anderes gelernt! Was sollte sonst aus mir werden? Ihr wisst schon, was ich meine.«
    »Saurum!«, rief indes IsInDur. »Was ist denn mit dir los? Wozu siehst du so unansehnlich aus? Früher sahst du besser aus!«
    Saurum hatte in der Tat zwischenzeitlich seine Fähigkeit verloren, alle möglichen Formen anzunehmen, zum Beispiel solche, die dem Auge wohlgefällig sind. Dies widerfuhr ihm in jenem Moment, da er in den Abgrund glitt, daraus er zwar noch einmal entkommen konnte, allerdings als Unansehnlicher, was fortan seine einzige Gestalt bleiben sollte. Niemals wieder würde er mit einer nett anzusehenden Fassade die Albernen blenden können, wie er es im Verlauf des Viertletzten Zeitalters immer so gern getan hatte, wohlwissend, dass die Edelsten schon seit langem die unselige Angewohnheit hatten, auf ebenmäßig geformte Fratzen hereinzufallen. Was verdeutlicht, dass ihre Weisheit schwand.
    »Meine Macht kann jetzt nicht mehr auf Täuschung und falschen Einschmeicheleien fußen, wie ehedem«, verquasselte sich der Dusterunhold, »sie beruht jetzt, was die Erscheinung angeht, nur noch auf der Schrecknis meines abscheulichen Aussehens!«
    Da überkam großes Mitgefühl IsInDur, und Analyon sagte: »Du bedauernswerter Hässlicher! Och!«
    Ein Weilchen weinte sich Saurum in Analyons Armen aus, bis ihm einfiel, dass solch Gebaren eines Schattenkönigs nicht wirklich würdig war, und sofort feuerte er ein paar Blitze los, die Unzählige, näher Dranne und weiter Forte, niedermähten. Daraufhin begann das später legendär gewordene Gerangel zwischen Saurum, IsInDur und Elendsstiel (der schnell aus seinem Südlichen Reich herbeigeeilt war), in dessen Verlauf der Eine Ohrring in einem Gebüsch hängen blieb und von IsInDur ergrapscht wurde, und Saurum in den Schatten am Rande der Büsche fiel.

VI.: Die Jahre der Verbannung
    So ward Saurum niedergerungen, und für eine lange Zeit hatte der Terror des Großen Düsterpeters ein Ende gefunden. Und obgleich Elendsstiel ebenfalls im Schatten des Gebüsches blieb, von wo er nie mehr zurückkehrte in die Gefilde der Lebendigen, hätte nun alles einigermaßen erquicklich werden können für das Geschlecht der Blubberrorer und alle Lande des Ostens. Aber IsInDur weigerte sich, den Ohrring in den nahen Schicksalsteich zu werfen, obgleich Allround der Halb-Alberne, wie zufällig des Weges kommend, ihm genau dazu riet. Diese Tat von lediglich minderem Heroismus und überschaubaren handwerklichen Ansprüchen nämlich hätte nach dem Wissen der Weisen das mit unsäglicher Macht beladene Finsterschmuckstück für immer zerstört. Und die Mittelmäßige Welt wäre auf ewig dem gierigen Zugriff des Schattenherrschers entzogen worden.
    Stattdessen brachte es IsInDur tatsächlich fertig, den Ohrring binnen kürzester Zeit seinerseits zu verlieren; und schon ging alles wieder den Bach runter, wie es Historiker in ausgefeilter Metaphorik auszudrücken pflegen. Und es waren genau solche Gelehrten der wässrigen Allegorien, die prophezeiten, dass, wenn fürderhin jegliches dermaßen tollpatschig weitergeführt werden würde, der gesamte Südosten in naher Zukunft baden ginge. Denn dies ist stets das Wesen der Mittelmäßigen Welt gewesen: vom Hohen zum Mittleren zu gleiten, und im feuchten Nass zu enden.
    Zunächst aber ging IsInDur selber baden, und zwar in jenem vielbesungenen Strom, welcher der Fluss ohne Namen und ohne Wiederkehr genannt wurde. Und er tauchte zunächst, wie auch später, was viele Zeitgenossen verwunderte, nicht mehr auf. Die ihm nachfolgenden Könige starrten auf das Schwert, das er ihnen hinterlassen hatte, und nach langem Starren erkannten sie, dass die Waffe zerknickt war:

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