Der Herr der Ohrringe (German Edition)
wahrscheinlich hatte sich irgendjemand über irgendwas geärgert und sie ruiniert, schlussfolgerten sie, wobei sie bedächtig nickten.
Am längsten jedoch starrte der Bedürftige Seher, und als er sein Starren beendet hatte, hub er an zu einer langen Rede von Hellsicht: »Derjenige, der in ähnlicher Manier Schwerter zu zerknicken versteht: Er wird kommen. Zumindest vielleicht. Könnt’ ja sein.«
Da waren fast alle, die es vernahmen, baff; zu deuten hingegen vermochten sie die Prophezeiung nicht, jedenfalls nicht das Ende. Und auch in der Mitte fanden sie den Spruch verstörend.
Jahrhunderte zogen ins Land, wie vordem und auch seither, und sie brachten wenig Erfreuliches, wie meistens, und die Könige von Gondel und Amor gingen ihrer Kronen verlustig, die sie auch nach langem Suchen nicht wiederfanden, und so erkannten ihre Gefolgschaften sie nicht mehr und jagten sie in die Wildnis hinaus, wo sich die vormaligen Herrscher beklagenswert schlichte Baumhütten bauten. Im Baumhüttenbauen hatten sie nicht so viel Erfahrung wie im Reichegründen.
Hochburgen zerfielen, und Sümpfe verlagerten sich in Gegenden, die angenommen hatten, für immer sumpffrei zu bleiben; und manch einer forderte die Krone aus den Händen eines anderen; da aber aller Hände leer waren, wie aller Köpfe auch, verzögerte sich die Rückkehr des Königtums; und jene aus dem Hohen Geschlecht der Blubberrorer kamen zu der Erkenntnis, dass sie die vom Schicksal Betrogenen waren. (» elenvahr « in ihrer eigenen Sprache.)
Anhang Oe
Von Marathorn und Awon
Marodo, ein ferner Nachkomme Elendsstiels, war der Großvater Marathorns. Marodos Sohn Matherhorn hielt um die Hand der jungen schönen Dillreys an, was den Unmut ihres Vaters auf den Plan rief, denn es grauste ihn, seine Tochter schon zu einem so frühen Zeitpunkt in die Klauen des Sexus zu entlassen. Dies war offensichtlich in der Mittelmäßigen Welt – und den ihr folgenden – unmittelbar verwoben mit dem Umdiehandanhalten: allenthalben und immerzu lauert die Gier der jungen Männer, die sich da nur so vereinigen wollen mit den schönen Mädchen.
»Nichts da!«, rief Dillreys’ Vater. »Nachher passiert noch irgendwas… «
»Wieso nachher? Besser vorher!«, entgegnete seine Frau, die Mutter Dillreys’, die weit-, hell- und tiefsichtig war. »Denn Eile ist geboten, und mir schwant, dass Matherhorn nicht mehr allzu lange zu leben hat, und wenn die beiden jetzt heiraten, so mag Hoffnung für unser Volk in der Baumhütte geboren werden. Wenn die zwei jedoch zögern, wird alles zu spät sein, und die Hoffnung ist verloren. «
»Geboren?«, zischte Dillreys’ Vater. »Siehst du? Siehst du? Das heißt ja wohl, dass die ganze Sache mit diesem vermaledeiten Sexus zu tun hat, wie ich schon seit geraumen Momenten argwöhne! Immer diese verflixten Anspielungen und das Geschwätz von Nachkommen, und von Hoffnung – har har – die geboren wird! Warum spricht denn niemals jemand kühn aus, worum es hier im Detail geht, eh?« Er selber aber sprach ebenfalls nicht aus, was ihn in Visionen peinigte, und grummelnd wandte er allem seinen Rücken zu. Und Matherhorn und Dillreys heirateten und zogen sich zurück ins Dickicht, von wo es für sie erst nach längerer Zeit eine Rückkehr gab; und Dillreys gebar Marathorn, und Matherhorn zog fort, um mit Knorks zu kämpfen, die ihm solchgestalt auf den Kopf schlugen, dass es für ihn keine Rückkehr mehr gab.
Rechtzeitig war Marathorn geboren worden, wie nun alle erkannten, und auf ihm lagen jetzt die Hoffnungen seines Volkes: jener zu werden, der in unnachahmlicher Manier Schwerter zu zerknicken imstande wäre, woran der Retter zu erkennen sein würde, wie es der Bedürftige Seher voraus gesagt hatte ein Zeitalter zuvor.
Nicht lange darauf nahm Allround der Halb-Alberne den vaterlosen Marathorn in sein Anheimelndes Haus auf, wo er großgezogen wurde, und er gab dem Jungen den Namen Ästel, da der sich auf Waldwanderungen immerzu in den Zweigen verhedderte, was als gutes Omen gedeutet wurde. Ästel argwöhnte und ahnte nichts, erst recht nicht, dass er ein direkter Nachkomme Elendsstiels war; und als Allround es ihm eines Tages eröffnete, wurde der Junge umgehend hochmütig und begann, Hymnen auf sich selbst zu singen, derweil er im Wald einherstakste und sich in den Ästen verfing.
Plötzlich aber wurde er eines Mädchens gewahr, das halbnackt zwischen den dicken Stämmen huschte und haargenau wie Ludien aussah, die legendäre Schönste Alberne des
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