Der Herr der Puppen: Das Geheimnis von Askir 4 (German Edition)
weichen Stimme. »Verzeiht, Havald, dass ich Euch an diesen Ort bat, aber es scheint, als wäre ich auf Eure Hilfe angewiesen.«
Ich nickte, fand zuerst meine eigene Stimme nicht. Zu deutlich spürte ich die Kälte der silbernen Kette, die auf meiner Brust lag. So stark wie hier hatte ich die Macht meines Gottes selten gefühlt, er war in jedem Atemzug präsent, der wie eisige Klingen in meine Lungen fuhr. Selbst mein Atem wurde hier zu kaltem Nebel.
»Sofern ich helfen kann, werde ich es tun«, sagte ich leise. Laut zu sprechen war hier nicht angebracht.
»Ihr habt meine Tochter Marinae aus den Händen von Sklavenhändlern befreit, nicht wahr?«, fragte sie dann, und jedes ihrer Worte schien ein besonderes Gewicht zu haben.
»So ist es, Essera.«
»Habt Ihr sie unbekleidet gesehen?«
Ich zögerte kurz und suchte in ihren Augen zu ergründen, worauf sie hinauswollte. In solchen Dingen war die Wahrheit immer ein guter Rat.
»Ja, kurz. Ich bot ihr sofort Kleidung und Nahrung an.«
»Würdet Ihr ihren Körper erkennen?«
Ich schluckte. Ich war noch nicht so alt, dass ich weibliche Reize übersehen würde. »Vielleicht.«
Sie gab dem Leibarzt ein Zeichen, und er trat an eine der Bahren heran und zog dort das Leinentuch herab. Dankbarerweise gab es ein zweites Tuch, das die Tote vom oberen Brustansatz bis zum Kopf bedeckte, Faihlyd hatte ihrer Schwester mit Eiswehr den Kopf vom Hals getrennt. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich eine solche Wunde erblickte, aber nach Möglichkeit wollte ich mir den Anblick ersparen.
Ich musterte den Körper. Er gehörte zu einer jungen Frau, auch im Tod noch eine Schönheit, mit schlanken Beinen und einem schönen Busen – doch dem Tod fehlt die Seele, und ich wandte meinen Blick rasch wieder ab. Es erschien mir mehr als unschicklich, diese Blöße weiter zu betrachten.
Schweigend legte der Gelehrte das Leinen wieder über den toten Körper.
»Nun?«, fragte die Essera Falah. »Erkennt Ihr meine Enkelin in ihr?«
Ich schüttelte den Kopf. »Sie ist es nicht.«
»Seid Ihr sicher?«, fragte sie, eine seltsame Spannung in ihrer Stimme.
»Ich bin sicher. Eure Enkelin war hier« – ich machte eine ungelenke Geste im Brustbereich – »nicht so sehr … gesegnet.«
Überraschenderweise lächelte die Essera Falah. »Die Götter segnen die Frauen unserer Familie mit anderen Gütern«, sagte sie dann, und für einen Moment wirkte sie durch ihr Lächeln jung.
»Marinae war nur vier Jahre älter als meine andere Blume, Faihlyd.« Sie wies auf die Bahre. »Wie alt schätzt Ihr denn diese Frau, Havald?«
Ich räusperte mich. »Sie ist in meinen Augen auch noch jung, aber älter als Marinae. Auf gute zwei Dutzend und sechs, vielleicht etwas älter«, gab ich leise Antwort.
Sie und der Leibarzt tauschten einen Blick, während ich hinter mir hörte, wie Serafine den Atem einzog. Die Essera Falah sah an mir vorbei.
»Serafine, nicht wahr? Oder … Helis?«
Vor seinem Altar merkte der Priester bei diesen Worten auf und schaute Serafine neugierig an.
Serafine verbeugte sich vor der Essera.
»Wie seht Ihr das?«, fragte die Essera meine Begleitung.
»Jung und schön«, kam Serafines feste Antwort, »deutlich jünger, als Havald sie schätzt.«
»Hhm«, sagte die Essera Falah mit einem nachdenklichen Blick hinüber zu dem Priester Soltars, der sich wieder erhoben hatte und nun zu uns trat. Er musterte mich. »Würdet Ihr Euer Schwert ablegen, Ser Havald?«, fragte die Essera, und ich nahm Seelenreißer vom Waffengehänge und hielt es wortlos dem Priester hin. Er zögerte einen Moment und nahm es dann ehrfürchtig entgegen. Ich spürte, wie Seelenreißer protestierte – es waren die falschen Hände, die ihn trugen –, aber er war Soltar geweiht, also hatte er keinen Grund, sich zu beschweren.
Wortlos hob der Gelehrte das Laken wieder an. Ich schüttelte den Kopf, denn ich sah noch immer die gleiche Frau. Es lag wohl nicht an meiner Klinge, da hatte ich eher anderes im Verdacht: einen Ring zum Beispiel, der schwer um meinen Finger lag.
»Darf ich fragen, worum es geht?«, fragte ich leise und hielt die Hand in Richtung des Priesters. Seelenreißer sprang mir fast erleichtert in die Hand, und ich hängte ihn wieder an meinem Gürtel ein.
»Dies«, sagte Essera Falah langsam und deutete mit einem Ausdruck des Abscheus auf den Körper vor mir, »ist der Körper der Frau, die meinen Sohn ermordet hat und die durch die Hand meiner Enkelin die gerechte Strafe erhielt. Dies müsste
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