Der Herr der Puppen: Das Geheimnis von Askir 4 (German Edition)
immer um ihn. Auch wenn er die Krone trug, wusste doch jeder, wer die Geschicke der Menschen wirklich lenkte. Der Emir, die Götter mögen seine Seele gnädig aufnehmen, hatte viel von seinem Vater, die Ehre und die Geduld, auch die Weitsicht, sich klug beraten zu lassen, und die Schläue der Füchsin, wie man meine Herrin einst nannte. Ihr kennt die Geschichte unseres Lands und dieser Stadt noch nicht so gut, aber lasst Euch sagen, dass es Jahrhunderte her ist, dass ein solch weiser Mann wie mein Herr, der Emir, diese Stadt regierte.« Er sah zu mir auf. »Hättet Ihr die Stadt gekannt, wie sie zu Zeiten meiner Jugend war, so könntet Ihr erahnen, was das Haus des Löwen in nur wenigen Generationen hier geleistet hat.« Seine Miene verdunkelte sich. »Zu sehen, wie er von dieser Kreatur ermordet wurde … Jene Nacht war zugleich die dunkelste und die hellste Stunde der Goldenen Stadt … Hätte das Auge von Gasalabad für die Emira nicht so strahlend geleuchtet, hätten die Götter nicht ein solch deutliches Zeichen gesetzt, wäre es gut möglich, dass sich die Goldene Stadt heute in Angst, Aufruhr und Panik befände, unregierbar außer durch Waffengewalt.« Er schaute zur Seite. »Es wäre nicht das erste Mal«, fuhr er dann leise fort. »Hier entlang, Esseren.«
Ich sah Serafines nachdenklichen Blick, als wir uns hinter einem Rosenstrauch durchduckten und dann einen weiten, gepflasterten Weg betraten, der unweit der Stallungen zu den eigentlichen Palastgebäuden führte.
»Einen Moment, bitte«, sagte sie und hielt inne.
Hahmed und ich sahen sie überrascht an, dann verstanden wir, als wir sahen, wie sie durchatmete und sich umschaute. Ich bemerkte, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten.
»Das ist der alte Palast, der meines Vaters«, sagte sie leise. »Hier bin ich aufgewachsen, dies war mein Zuhause. Dort drüben standen große Stallungen, zu meiner Zeit gab es dort sogar Sandkuhlen für die stolzen Greifen. Dort lernte ich Jerbil kennen, er versuchte einen der Greifenreiter zu überzeugen, ihn beim nächsten Flug mitzunehmen. Wir waren Kinder, und es ist alles so schrecklich lange her.« Sie lächelte scheu. »Ich weiß, wie viel Zeit vergangen ist, aber hier ist es, als wäre es erst gestern gewesen. Es mögen nicht die gleichen Rosen sein … aber dieser Teil des Gartens wurde von meiner Mutter neu gestaltet … und nun nennt man ihn wahrscheinlich den alten Garten.« Sie seufzte und schloss die Augen. »Verzeiht, es ist ein seltsames Gefühl«, sagte sie, als sie ihre Augen wieder öffnete.
»War es sehr viel anders damals?«, fragte Hahmed leise und ehrfürchtig. »Das Leben hier, meine ich. War es die goldene Zeit, von der die Legenden sprechen?«
Serafine lächelte leicht. »Nein, Hahmed. Es war einfach nur anders. Die Menschen bleiben gleich … Ich vermisse nur so viele von denen, die ich kannte und liebte.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, doch Hahmed fand die richtigen Worte. »Das wird auch immer gleich bleiben«, sagte er, wartete einen Moment und ging dann weiter. Wir folgten ihm wortlos. Es ging den Kiesweg entlang, bis wir an einen kleinen Platz kamen, an dem ein Brunnen stand.
Dort winkte der kleine Mann einen der patrouillierenden Wächter heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr, woraufhin sich der Mann mit der Faust auf der Brust tief verbeugte, uns einen kurzen, neugierigen Blick zuwarf und davonrannte.
Hahmed sah zu mir auf. »Er wird die Essera Falah benachrichtigen«, sagte er dann knapp und ging weiter. Von einem zum anderen Moment war er wieder Hahmed, der Hüter des Protokolls, ein kleiner schmächtiger Mann mit einem spärlichen Bart und übertrieben stolzgeschwellter Brust, ein Mann, der sich selbst wohl doch zu wichtig nahm.
Doch für eine kurze Zeit hatte er uns einen anderen gezeigt, seine Seele nicht verborgen gehalten, als er von seiner Herrin sprach. Dieser kleine Mann liebte die Essera Falah, und wenn es nötig wurde, würde er für sie sterben. Ich folgte ihm nachdenklich, wie er vor uns den gepflasterten Weg entlangstolzierte. Das, was ein Mensch zu sein schien, und das, was er wirklich war, war nie dasselbe. Ich folgte ihm mit einer neuen Achtung, einer Achtung, die wenig mit seinem hohen Amt zu tun hatte. Vielleicht war ich auf meine alten Tage in mehr als einer Hinsicht erblindet.
Ich schloss zu Serafine auf. »Sag, wie wichtig ist das Amt des Hüters des Protokolls? Kennst du es?«, fragte ich sie leise.
Sie musterte mich aus unergründlichen Augen.
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