Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
bereit zum Abmarsch auf dem Hang des Hügels standen, schien die Sonne blass über die Berggipfel.
»Vor Sonnenuntergang müssen wir an der Tür sein«, sagte Gandalf, »oder ich befürchte, wir kommen nie hin. Es ist nicht weit, aber wer weiß, ob wir den kürzesten Weg finden, denn Aragorn kann uns hier nicht führen; er ist selten in diese Gegend gekommen, und auchich bin erst einmal unter der Westmauer von Moria gestanden, und das ist lange her. Dort liegt sie.«
Er deutete nach Südosten, wo die Berghänge steil in die Schatten zu ihren Füßen abtauchten. Über die Entfernung hin sah man nur undeutlich eine Reihe kahler Felsen und in deren Mitte eine große graue Wand, die höher war als die anderen. »Als wir vom Pass fortgingen, habe ich euch nach Süden geführt und nicht zurück zu unserem Ausgangspunkt, wie manche von euch bemerkt haben werden. Und das war gut so, denn so habe ich euch einige Meilen erspart, und wir haben es eilig. Gehn wir!«
»Ich weiß nicht, worauf ich da hoffen soll«, sagte Boromir finster. »Dass Gandalf findet, was er sucht, oder dass die Tür, wenn wir an die Felswand kommen, für immer verschwunden ist. Eins wäre so schlecht wie das andere, und am wahrscheinlichsten ist, dass wir dort zwischen der Wand und den Wölfen in der Falle sitzen. Schreite voran!«
Gimli ging neben dem Zauberer an der Spitze, so eilig hatte er es, nach Moria zu kommen. Sie führten die Gruppe nun wieder zum Gebirge zurück. Die einzige Straße von Westen nach Moria war in alter Zeit an einem Bach entlang verlaufen, dem Sirannon, der am Fuß der Felswände entsprang, in der Nähe der Stelle, wo sich die Tür befunden hatte. Aber entweder hatte Gandalf sich verlaufen, oder das Gelände hatte sich in den letzten Jahren verändert; jedenfalls fand er den Bach nicht, wo er ihn suchte, nämlich einige Meilen südlich von dem Hügel, wo sie aufgebrochen waren.
Es ging schon auf Mittag zu, und noch immer irrten die Gefährten in einer kahlen Landschaft voller roter Felsen umher. Nirgendwo sahen sie Wasser schimmern oder hörten es plätschern. Alles war dürr und trocken. Ihr Mut sank. Nichts Lebendes war zu sehen, auch kein Vogel am Himmel; doch was die Nacht bringen würde, wenn sie in dieser Einöde von ihr ereilt würden, mochte keiner von ihnen sich ausmalen.
Plötzlich rief Gimli sie herbei, der vorausgeeilt war. Er stand aufeiner Anhöhe und zeigte nach rechts. Als sie nachkamen, sahen sie unter sich eine tiefe, schmale Rinne. Sie war leer und stumm, und nur auf dem Grund tröpfelte ein wenig Wasser zwischen braunen und rot gefleckten Steinen dahin, doch auf dem diesseitigen Ufer war ein Weg zu erkennen, der sich, an vielen Stellen verschüttet, zwischen verfallenen Mauern und zerbröckelten Pflastersteinen einer alten Straße hinzog.
»Aha! Da sind wir endlich!«, sagte Gandalf. »Hierfloss der Sirannon, wie sie ihn nannten, der Torbach. Aber wo mag sein Wasser geblieben sein? Keine Ahnung – früher floss er laut und lebhaft. Kommt, weiter, wir sind spät dran!«
Alle waren müde, und einige hatten Blasen an den Füßen, aber zäh stapften sie noch viele Meilen weit den unebenen und gewundenen Pfad entlang. Die Sonne wandte sich schon nach Westen. Nach kurzer Rast und einem hastigen Imbiss gingen sie weiter. Vor ihnen bauten sich abweisend die Berge auf, aber weil ihr Weg in einer tiefen Rinne durchs Land führte, konnten sie nur die höheren Rücken und weit hinten im Osten die Gipfel sehen.
Schließlich kamen sie an eine scharfe Wegbiegung. Hier wendete sich die Straße, die bisher zwischen dem Rand des Bachbetts und dem steil ansteigenden Gelände zur Linken in südliche Richtung geführt hatte, wieder nach Osten. Als sie um die Biegung kamen, sahen sie vor sich eine niedrige Felswand, keine dreißig Fuß hoch, an der Oberseite zackig und bröselig. Durch eine breite Spalte, die einst durch einen stärkeren Wasserfall ausgewaschen zu sein schien, tröpfelte ein Rinnsal herab.
»Hier hat sich wahrhaftig einiges verändert!«, sagte Gandalf. »Aber die Stelle ist nicht zu verkennen. Das ist alles, was vom Stufenfall noch übrig ist. Wenn ich mich recht entsinne, war hier neben dem Wasserfall eine Treppe in den Felsen gehauen, aber die Hauptstraße bog links ab und führte dann in mehreren Schleifen zum ebenen Grund oberhalb des Wasserfalls hinauf. Früher war dort ein flaches Tal, vom Wasserfall bis zu den Mauern von Moria; da hindurch floss der Sirannon, und die Straße verlief am Ufer
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