Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
erkennen gegeben hatte, führte die Gefährten weiter: vom Osttor von Moria in das Elbenland Lórien, dann den großen Anduinstrom abwärts bis zu den Rauros-Fällen. Schon da hatten sie bemerkt, dass sie von Spähern beobachtet wurden und dass Gollum, eine Kreatur, die den Ring einmal besessen hatte und ihn immer noch begehrte, ihnen auf der Spur war.
Nun wurde es notwendig, sich zu entscheiden, ob sie ostwärts nach Mordor oder mit Boromir nach Minas Tirith gehen sollten, um Gondors Hauptstadt im bevorstehenden Krieg verteidigen zu helfen. Oder sollten sie sich trennen? Als deutlich wurde, dass der Ringträger entschlossen war, das hoffnungslose Unternehmen bis ins Feindesland fortzusetzen, versuchte Boromir, den Ring mit Gewalt an sich zu bringen. Der erste Teil endete damit, dass Boromir der Verlockung des Rings erlag, während Frodo und sein Diener Samweis sich heimlich davonmachten und die anderen Gefährten durch einen plötzlichen Überfall von Orksoldaten getrennt wurden, die teils im Dienst des Dunklen Herrschers von Mordor, teils des Verräters Saruman in Isengard standen. Das Unglück schien die Fahrt des Ringträgers schon ereilt zu haben.
Der folgende Teil, Die zwei Türme, berichtet nun, wie es jedem der Gefährten nach der Auflösung ihrer Fahrtgemeinschaft erging, bis zum Anbruch der großen Finsternis und dem Beginn des Ringkrieges, von dem im dritten und letzten Teil zu berichten sein wird.
DRITTES BUCH
ERSTES KAPITEL
BOROMIRS ABSCHIED
A ragorn rannte den Berg hinauf. Ab und zu bückte er sich und betrachtete den Boden. Hobbits haben einen leichten Tritt, und ihre Fährten sind selbst für einen Waldläufer nicht leicht zu lesen, doch nicht weit unterhalb des Gipfels lief ein Rinnsal über den Weg, und im nassen Boden fand er, was er suchte.
»Ich habe die Zeichen richtig gedeutet«, sagte er sich. »Frodo ist zum Gipfel hinaufgerannt. Ich möchte wissen, was er dort gesehen hat. Aber er ist denselben Weg zurückgekommen, den Berg hinunter.«
Aragorn zögerte. Er wollte selbst zu dem Hochsitz, in der Hoffnung, dort vielleicht etwas zu sehen, das ihm aus seiner Ratlosigkeit heraushelfen könnte, doch die Zeit drängte. Jäh rannte er los, zum Gipfel, über die großen Steinplatten und die Treppe hinauf. Oben setzte er sich hin und schaute umher. Aber die Sonne schien verdunkelt zu sein, die Welt getrübt und entrückt. Er blickte ringsum von Norden bis Norden und sah nichts außer fernen Bergen; allenfalls glaubte er, in großer Entfernung wieder einen mächtigen Vogel hoch am Himmel zu erkennen, vielleicht einen Adler, der in weiten Kreisen langsam zur Erde niederschwebte.
Während er so umherblickte, fingen seine scharfen Ohren Geräusche aus dem Waldland unten am westlichen Ufer auf. Er erstarrte. Es waren Schreie, und unter ihnen hörte er zu seinem Schrecken krächzende Orkstimmen heraus. Dann plötzlich ertönte ein großes Horn, und seine tiefen Stöße prallten gegen die Berghänge, hallten in den Tälern wider und erhoben sich zu einem gewaltigen Ruf, der das Brausen des Wasserfalls übertönte.
»Boromirs Horn!«, rief er aus. »Er ist in Not.« Er sprang die Stufen hinab und rannte mit langen Schritten den Weg zurück. »Oh, was für ein Unglückstag ist das heute! Alles, was ich anfange, geht schief. Wo ist nur Sam?«
Je weiter er hinunterkam, desto lauter wurde das Gebrüll, während die Hornstöße schwächer und verzweifelter klangen. Dann steigerten sich die Orkschreie zu schriller Raserei, und die Hornstöße rissen ab. Aragorn stürmte den letzten Hang hinunter, doch bevor er den Fuß des Berges erreichte, wurde es stiller, und als er sich nach links wandte, in die Richtung, aus der die Schreie kamen, entfernten sie sich, bis er nichts mehr hörte. Das blanke Schwert in der Faust und mit dem Ruf Elendil! Elendil! brach er zwischen den Bäumen hervor.
Auf einer kleinen Lichtung unweit des Seeufers, etwa eine Meile von Parth Galen, fand er Boromir. Er saß mit dem Rücken an einen dicken Baum gelehnt, als ob er ruhte. Aber dann sah Aragorn die schwarzgefiederten Pfeile, die in ihm steckten. Sein Schwert hielt er noch in der Hand, aber es war dicht unterm Heft abgebrochen; sein Horn lag neben ihm, in zwei Teile gespalten. Erschlagene Orks lagen zuhauf ringsum und vor seinen Füßen.
Aragorn kniete neben ihm nieder. Boromir schlug die Augen auf und versuchte zu sprechen. Endlich brachte er einige Worte stockend heraus. »Ich habe versucht, Frodo den Ring abzunehmen«,
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