Der Herr der Ringe
Abgrund, die große Kluft am Ende des Gebirges: Nan Curunír, das Tal von Saruman.
»Nacht liegt über Isengart«, sagte Baumbart.
FÜNFTES KAPITEL
DER WEISSE REITER
M ir ist kalt bis auf die Knochen«, sagte Gimli, schlug die Arme unter sich und stampfte mit den Füßen auf. Endlich war es Tag geworden. Im Morgengrauen hatten sie sich ein Frühstück bereitet, so gut sie konnten; jetzt machten sie sich in der zunehmenden Helligkeit daran, den Boden wieder nach Spuren der Hobbits abzusuchen.
»Und vergesst den alten Mann nicht!«, sagte Gimli. »Ich wäre glücklicher, wenn ich den Abdruck eines Stiefels sehen könnte.«
»Warum würde dich das glücklicher machen?«, fragte Legolas.
»Weil ein alter Mann mit Füßen, die Spuren hinterlassen, vielleicht nicht mehr ist, als er zu sein schien«, antwortete der Zwerg.
»Vielleicht«, sagte der Elb. »Aber hier hinterlässt ein schwerer Stiefel womöglich gar keinen Abdruck: Das Gras ist hoch und federnd.«
»Das würde einen Waldläufer nicht täuschen«, sagte Gimli. »Für Aragorn reicht ein umgebogener Halm, um ihn zu deuten. Aber ich erwarte nicht, dass er irgendwelche Spuren findet. Es war ein böses Trugbild von Saruman, was wir gestern gesehen haben. Davon bin ich überzeugt, selbst im hellen Morgenlicht. Seine Augen erblicken uns vielleicht sogar jetzt von Fangorn aus.«
»Das ist recht wahrscheinlich«, sagte Aragorn, »dennoch bin ich nicht sicher. Ich denke an die Pferde. Du sagtest in der Nacht, Gimli, er habe sie so erschreckt, dass sie fortgelaufen seien. Aber das glaube ich nicht. Hast du sie gehört, Legolas? Klang dir das wie erschreckte Tiere?«
»Nein«, sagte Legolas. »Ich habe sie deutlich gehört. Wäre es nicht dunkel und wir selbst verängstigt gewesen, hätte ich eher angenommen, es seien Tiere, die sich plötzlich freuten. Sie gaben Laute von sich, wie Pferde es tun, wenn sie einen Freund treffen, den sie lange vermisst haben.«
»Das fand ich auch«, sagte Aragorn. »Aber ich kann das Rätsel nicht lösen, es sei denn, sie kehrten zurück. Nun kommt! Es wird rasch hell. Lasst uns zuerst nachschauen und später mutmaßen! Wir sollten hier anfangen, in der Nähe unseres Lagerplatzes sorgfältig alles absuchen und uns dann den Hang hinauf zum Wald vorarbeiten. Die Hobbits zu finden, ist unsere Aufgabe, was immer wir auch von unserem Besucher in der Nacht halten mögen. Wenn sie durch irgendeinen glücklichen Umstand entkommen sind, dann müssen sie sich in den Bäumen versteckt haben, sonst wären sie gesehen worden. Wenn wir zwischen hier und dem Saum des Waldes nichts finden, dann werden wir als Letztes noch auf dem Schlachtfeld und in der Aschesuchen. Aber da besteht wenig Hoffnung: die Reiter von Rohan haben ihre Arbeit zu gut gemacht.«
Eine Zeitlang krochen und tasteten die Gefährten auf dem Boden herum. Der Baum stand trauervoll über ihnen, seine trockenen Blätter hingen jetzt schlaff herab und raschelten im kalten Ostwind. Aragorn ging langsam weiter. Er kam zur Asche des Wachfeuers in der Nähe des Flussufers und begann dann, den Boden nochmals bis zu der Kuppe, wo der Kampf ausgefochten worden war, sorgfältig zu untersuchen. Plötzlich bückte er sich so tief, dass sein Gesicht fast im Gras war. Dann rief er die anderen. Sie kamen angerannt.
»Hier finden wir endlich eine Nachricht«, sagte Aragorn. Er hob ein beschädigtes Blatt auf, damit sie es sehen konnten, ein großes, fahles Blatt in goldener Tönung, das jetzt verblasste und braun wurde. »Hier ist ein Mallornblatt aus Lórien, und Krümelchen sind darauf, und noch ein paar Krümel im Gras. Und schaut! da liegen einige Stücke von einem zerschnittenen Strick ganz in der Nähe!«
»Und hier ist das Messer, das sie zerschnitten hat«, sagte Gimli. Er bückte sich und zog aus einem Grasbüschel, in den sie ein schwerer Fuß hineingetreten hatte, eine kurze, gezackte Klinge. Das abgebrochene Heft lag daneben. »Es war eine Orkwaffe«, sagte er, hielt sie behutsam und betrachtete voll Abscheu den geschnitzten Griff: Er war wie ein hässlicher Kopf gestaltet mit schielenden Augen und einem gierenden Mund.
»Nun, das ist das seltsamste Rätsel, das wir je gefunden haben!«, rief Legolas. »Ein gefesselter Gefangener entkommt sowohl den Orks als auch den umzingelnden Reitern. Dann hält er an, wo er noch für alle sichtbar ist, und zerschneidet seine Fesseln mit einem Orkmesser. Aber wie und warum? Denn wenn seine Beine gebunden waren, wie ging er dann? Und wenn
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