Der Herr der Ringe
seine Arme gefesselt waren, wie handhabte er dann das Messer? Und wenn weder Beine noch Arme gefesselt waren, warum hat er dann überhaupt den Strick zerschnitten? Erfreut über seine Geschicklichkeit, hat er sich dann hingesetzt und in aller Ruhe etwas Wegzehrung gegessen! Das zumindest beweist ausreichend, dass es ein Hobbit war, auch ohne Mallornblatt. Danach, nehme ich an, hat er seine Arme in Flügel verwandelt und ist singend in die Bäume geflogen. Es müsste leicht sein, ihn zu finden: Wir brauchen nur ebenfalls Flügel!«
»Da war bestimmt Zauberei im Spiel«, sagte Gimli. »Was hat dieser alte Mann hier gemacht? Was hast du, Aragorn, zu Legolas’ Lesart zu sagen? Kannst du sie verbessern?«
»Vielleicht«, sagte Aragorn lächelnd. »Da sind noch ein paar andere Zeichen in der Nähe, die ihr nicht berücksichtigt habt. Ich stimme euch zu, dass der Gefangene ein Hobbit war und entweder Beine oder Hände frei gehabt haben muss, ehe er hierher kam. Ich vermute, es waren die Hände, weil dasRätsel dann einfacher wird, und auch deshalb, weil er nach meiner Deutung der Spuren von einem Ork bis zu dieser Stelle getragen worden war. Blut ist hier vergossen worden, ein paar Schritte entfernt, Orkblut. Und dann sind überall an dieser Stelle Hufspuren und Anzeichen dafür, dass etwas Schweres weggeschleift wurde. Der Ork ist von Reitern erschlagen worden, und später hat man seine Leiche zum Feuer gezerrt. Aber der Hobbit wurde nicht gesehen: Er war nicht ›für alle sichtbar‹, denn es war Nacht und er trug noch seinen Elbenmantel. Er war erschöpft und hungrig, und es ist nicht verwunderlich, dass er, nachdem er seine Fesseln mit dem Messer seines gefallenen Feindes durchschnitten hatte, sich ausruhte und ein wenig aß, ehe er davonkroch. Aber es ist tröstlich zu wissen, dass er ein paar Stücke lembas in der Tasche hatte, obwohl er ohne Ausrüstung oder Bündel weggerannt war; das ist vielleicht hobbitähnlich. Ich sage er, obwohl ich hoffe und vermute, dass Merry und Pippin hier zusammen waren. Allerdings gibt es keinen sicheren Beweis dafür.«
»Und wie, glaubst du, kam es, dass einer unserer Freunde eine Hand frei hatte?«, fragte Gimli.
»Ich weiß nicht, wie das kam«, antwortete Aragorn. »Und ich weiß auch nicht, warum Orks sie wegtrugen. Nicht um ihnen bei der Flucht zu helfen, dessen können wir sicher sein. Nein, ich glaube eher, dass ich jetzt einen Punkt zu verstehen beginne, der mir von Anfang an rätselhaft war: Warum haben sich die Orks, als Boromir gefallen war, damit begnügt, Merry und Pippin gefangen zu nehmen? Sie haben nicht nach uns anderen gesucht und auch unser Lager nicht angegriffen; stattdessen sind sie in höchster Eile nach Isengart gegangen. Nahmen sie an, sie hätten den Ringträger und seinen getreuen Gefährten gefangen? Das glaube ich nicht. Ihre Herren hätten nicht gewagt, Orks so eindeutige Befehle zu erteilen, nicht einmal, wenn sie selbst soviel gewusst hätten; sie hätten ihnen gegenüber nicht so offen von dem Ring gesprochen: Orks sind keine vertrauenswürdigen Diener. Vielmehr glaube ich, dass ihnen befohlen wurde, Hobbits gefangen zu nehmen, lebendig, um jeden Preis. Jemand unternahm den Versuch, vor der Schlacht mit den wertvollen Gefangenen davonzuschleichen. Verrat vielleicht, ziemlich wahrscheinlich bei diesen Leuten; irgendein großer und kühner Ork mag versucht haben, allein mit der Beute zu entkommen, zu eigenem Nutz und Frommen. So, das ist meine Lesart. Es mag andere geben. Aber auf eines können wir jedenfalls rechnen: Zumindest einer unserer Freunde konnte fliehen. Es ist unsere Aufgabe, ihn zu finden und ihm zu helfen, ehe wir nach Rohan zurückkehren. Wir dürfen uns nicht schrecken lassen von Fangorn, da ihn die Not in diese finstere Gegend trieb.«
»Ich weiß nicht, was mich mehr schreckt: Fangorn oder der Gedanke an den langen Weg durch Rohan zu Fuß«, sagte Gimli.
»Dann lasst uns in den Wald gehen«, sagte Aragorn.
Es dauerte nicht lange, da fand Aragorn neue Spuren. An einer Stelle nahe dem Ufer der Entwasser stieß er auf Fußabdrücke: Hobbit-Abdrücke, aber zu schwach, um viel daraus zu entnehmen. Dann entdeckte er weitere Spuren unter dem Stamm eines großen Baumes genau am Waldrand. Der nackte und trockene Boden verriet nicht viel.
»Zumindest ein Hobbit stand hier eine Weile und blickte zurück; und dann wandte er sich ab und dem Wald zu«, sagte Aragorn.
»Dann müssen wir auch hineingehen«, sagte Gimli. »Aber dieser Fangorn
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