Der Herr der Ringe
sein, und Frodo konnte kein Zeichen oder Muster erkennen. Das Gold sah sehr klar und rein aus, und Frodo dachte bei sich, wie satt und schön seine Farbe und wie vollkommen er gearbeitet war. Es war ein herrliches und überaus kostbares Stück. Als er ihn herausnahm, hatte er vorgehabt, ihn an die heißeste Stelle des Feuers zu werfen. Doch jetzt stellte er fest, dass er es nicht vermochte, nicht ohne großen Kampf. Zögernd wog er den Ring in der Hand und zwang sich, an alles zu denken, was Gandalf ihm gesagt hatte; und dann machte er mit einer Willensanstrengung eine Bewegung, als wollte er ihn wegschleudern – aber dann merkte er, dass er ihn wieder in die Tasche gesteckt hatte.
Gandalf lachte grimmig. »Siehst du? Auch du, Frodo, kannst ihn schon nicht mehr so einfach aufgeben oder hast nicht mehr den Willen, ihn zu beschädigen. Und ich könnte dich nicht dazu ›bringen‹ – außer mit Gewalt, und das würde deinen Willen brechen. Aber um den Ring zu zerbrechen, ist Gewalt zwecklos. Selbst wenn du ihn nähmst und mit einem schweren Schmiedehammer auf ihn einschlügest, würde keine Delle zu sehen sein. Durch deine Hände kann er nicht zerstört werden, und auch nicht durch meine.
Dein kleines Feuer würde natürlich nicht einmal gewöhnliches Gold zum Schmelzen bringen. Dieser Ring hat es unversehrt überstanden und ist nicht einmal heiß geworden. Im ganzen Auenland gibt es keine Schmiedewerkstatt, die ihn umformen könnte. Nicht einmal die Ambosse und Schmelzöfen der Zwerge könnten dies. Es hieß einmal, dass Drachenfeuer die Ringe der Macht schmelzen und verzehren könnte, aber jetzt gibt es auf der Welt keinen Drachen mehr, in dem das alte Feuer heiß genug wäre; überdies hat es noch nie ein Drache vermocht, nicht einmal Ancalagon der Schwarze, dem Einen Ring, dem Beherrschenden Ring, Schaden zuzufügen, denn Sauron selbst hat ihn gemacht.
Es gibt nur einen Weg: in den Tiefen des Orodruin, des Feurigen Berges, die Schicksalsklüfte zu finden und den Ring dort hineinzuwerfen, wenn du ihn wirklich zerstören und auf immer dem Zugriff des Feindes entziehen willst.«
»Ich will ihn wirklich zerstören!«, rief Frodo. »Oder vielmehr, ich will, dass er zerstört wird. Denn ich bin nicht geeignet für gefährliche Unternehmungen. Ich wollte, ich hätte den Ring nie gesehen! Warum ist er nur auf mich gekommen? Warum wurde ich erwählt?«
»Solche Fragen lassen sich nicht beantworten«, sagte Gandalf. »Du kannst gewiss sein, dass es nicht wegen irgendwelcher Vorzüge war, die andere nicht besitzen: nicht Macht oder Weisheit jedenfalls. Doch bist du erwählt worden, und daher musst du alles zusammennehmen, was du an Kraft und Mut und Verstand besitzt.«
»Aber von alledem habe ich so wenig! Du bist weise und mächtig. Willst du den Ring nicht nehmen?«
»Nein!«, schrie Gandalf und sprang auf. »Mit dieser Macht würde ich eine zu große und entsetzliche Macht besitzen. Und über mich würde der Ring eine noch größere und tödlichere Macht gewinnen.« Seine Augen blitzten, und sein Gesicht war wie von einem inneren Feuer erleuchtet. »Versuche mich nicht! Denn ich will nicht werden wie der Dunkle Herrscher. Noch geht der Weg des Ringes zu meinem Herzen über Mitleid, Mitleid mit den Schwachen, und ich wünsche mir Stärke, um Gutes zu tun. Versuche mich nicht! Ich wage ihn nicht zu nehmen, nicht einmal, um ihn unbenutzt zu verwahren. Der Wunsch, ihn zu verwenden, würde zu groß sein für meine Kraft. Ich würde ihn so nötig brauchen. Große Gefahren liegen vor mir.«
Er ging zum Fenster, zog die Vorhänge auf und öffnete die Läden. Das Sonnenlicht strömte wieder in den Raum. Draußen auf dem Weg ging pfeifend Sam vorbei. »Und nun«, sagte der Zauberer, als er sich wieder zu Frodo umwandte, »liegt die Entscheidung bei dir. Aber ich werde dir immer helfen.« Er legte Frodo die Hand auf die Schulter. »Ich werde dir helfen, diese Bürde zu tragen, solange du sie zu tragen hast. Aber wir müssen bald etwas tun. Der Feind regt sich.«
Es trat ein langes Schweigen ein. Gandalf setzte sich wieder und sog an seiner Pfeife, als ob er tief in Gedanken versunken wäre. Seine Augen schienen geschlossen zu sein, aber unter den Lidern hervor beobachtete er Frodo scharf. Frodo starrte wie gebannt auf die rote Glut im Kamin, bis sie sein ganzes Blickfeld erfüllte und ihm war, als schaute er hinab in tiefe, feurige Brunnen. Er dachte an die sagenhaften Schicksalsklüfte und die Schrecken des Feurigen
Weitere Kostenlose Bücher