Der Herr der Ringe
sie, und doch merkten sie, dass sich ein großes Heer rings auf dem Berg sammelte, auf dem sie standen; und ein kühler Wind wie der Atem von Gespenstern kam herab vom Gebirge. Doch Aragorn saß ab, stellte sich neben den Stein und rief mit lauter Stimme:
»Eidbrecher, warum seid ihr gekommen?«
Und eine Stimme war zu hören in der Nacht, die ihm antwortete, als käme sie von ferne:
»Um unseren Eid zu erfüllen und Frieden zu haben.«
Dann sagte Aragorn: »Die Stunde ist endlich gekommen. Ich gehe jetzt nach Pelargir am Anduin, und ihr sollt mir nachkommen. Und wenn dieses ganze Land befreit ist von Saurons Dienern, dann werde ich den Eid als erfüllt ansehen, und ihr sollt Frieden haben und auf immer dahingehen. Denn ich bin Elessar, Isildurs Erbe von Gondor.«
Und damit bat er Halbarad, das große Banner zu entrollen, das er mitgebracht hatte, und siehe! es war schwarz, und wenn es irgendein Wahrzeichen trug, dann war es verborgen in der Dunkelheit. Dann war Stille, und kein Flüstern und kein Seufzen war die ganze lange Nacht mehr zu hören. Die Gruppe lagerte neben dem Stein, aber sie schliefen wenig wegen des Schreckens der Schatten, die sie umgaben.
Doch als die Dämmerung anbrach, kalt und bleich, erhob sich Aragorn in Eile, und er führte die Schar weiter auf diesem Ritt, der von größerer Hast und Beschwerlichkeit war, als irgendeiner von ihnen es je erlebt hatte, außer ihm allein, und nur sein Wille brachte sie dazu weiterzureiten. Keine anderen sterblichen Menschen hätten diesen Ritt ertragen, keine außer den Dúnedain aus dem Norden, und mit ihnen Gimli der Zwerg und Legolas der Elb.
Sie kamen vorbei an Tarlangs Hals und ritten hinein nach Lamedon; und das Schattenheer drängte sich hinter ihnen, und Schrecken ging ihnen voraus, bis sie nach Calembel am Ciril kamen, und wie Blut ging die Sonne hinter Pinnath Gelin fern im Westen unter. Das Dorf und die Furten des Ciril fanden sie verlassen, denn viele Männer waren in den Krieg gezogen, und alle, die zurückgeblieben waren, flohen in die Berge, als das Gerücht ging, der König der Toten komme. Doch am nächsten Tag gab es keine Morgendämmerung, und die Graue Schar zog weiter in die Dunkelheit des Sturms von Mordor und entschwand den Blicken der Sterblichen; nur die Toten folgten ihr.
DRITTES KAPITEL
DIE HEERSCHAU VON ROHAN
J etzt liefen alle Wege gemeinsam gen Osten, dem kommenden Krieg und dem Ansturm des Schattens entgegen. Und gerade als Pippin am Großen Tor der Stadt stand und den Fürsten von Dol Amroth mit seinen Bannern heranreiten sah, kam der König von Rohan von den Bergen.
Der Tag verging. In den letzten Strahlen der Sonne warfen die Reiter lange, spitze Schatten, die vor ihnen herzogen. Schon war die Dunkelheit unter den murmelnden Tannenwald gekrochen, der die steilen Berghänge bedeckte. Jetzt, am Ende des Tages, ritt der König langsam. Plötzlich zog sich der Pfad um eine gewaltige, kahle Felsschulter herum und tauchte ein in das Dunkel leise seufzender Bäume. Hinunter und immer weiter hinunter ritten sie einer hinter dem anderen auf dem gewundenen Weg. Als sie endlich unten in der Schlucht angekommen waren, fanden sie, dass sich der Abend auf die tiefliegenden Bereiche herabgesenkt hatte. Die Sonne war untergegangen. Zwielicht lag über den Wasserfällen.
Den ganzen Tag lang war weit unter ihnen ein sprudelnder Bach von dem hohen Pass herabgeronnen und hatte sich seinen schmalen Weg zwischen kiefernbestandenen Hängen gebahnt; und jetzt floss er durch eine steinerne Pforte hinaus in ein breiteres Tal. Die Reiter folgten ihm, und plötzlich lag das abendliche Hargtal vor ihnen, erfüllt von dem Plätschern des Wassers. Der weiße Schneeborn, dem sich der kleinere Bach angeschlossen hatte, floss dort brausend und spritzend über die Steine, hinunter nach Edoras und zu den grünen Hügeln und in die Ebene. Fern zur Rechten am oberen Ausgang des großen Tals ragte das mächtige Starkhorn empor über seinen gewaltigen Vorsprüngen, die in Wolken gehüllt waren; aber sein gezackter Gipfel, mit ewigem Schnee bedeckt, schimmerte hoch über der Welt, blauschattig gen Osten, rotgestreift vom Sonnenuntergang gen Westen.
Merry schaute voll Staunen auf dieses fremde Land, von dem er auf ihrem langen Weg viele Geschichten gehört hatte. Es war eine himmellose Welt, in der sein Auge über düsteren Abgründen von schattiger Luft nur unaufhörlich aufsteigende Hänge, eine große Felswand hinter der anderen und von Nebel
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