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Der Herr der Ringe

Der Herr der Ringe

Titel: Der Herr der Ringe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. R. R. Tolkien
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des Stabes, auf den er sich stützte.
    Glaubt Ihr, dass Schlangenzunge nur Gift für Théodens Ohren hatte? Schwachsinniger Greis! Was ist Eorls Haus anderes als eine strohgedeckte Scheune, wo Straßenräuber in stinkigem Rauch trinken und ihre Sprösslinge sich zwischen den Hunden auf dem Fußboden suhlen? Habt Ihr diese Worte nicht schon gehört? Saruman sprach sie, der Lehrer von Schlangenzunge. Obwohl ich nicht zweifle, dass Schlangenzunge zu Hause seinen Sinn in arglistigere Ausdrücke kleidete. Herr, hätte nicht die Liebe Eurer Schwester zu Euch und der immer noch auf ihre Pflicht gerichtete Wille ihr die Lippen verschlossen, dann hättet Ihr Dinge wie diese von ihnen hören können. Aber wer weiß, was sie in der Dunkelheit aussprach, allein, in den bitteren, stillen Stunden der Nacht, wenn ihr ganzes Leben zusammenzuschrumpfen schien und sich die Wände ihres Käfigs um sie schlossen wie um ein wildes Tier?«
    Da schwieg Éomer und schaute auf seine Schwester, als ob er von neuem all die Tage ihres gemeinsam verbrachten Lebens überdenke. Aber Aragorn sagte: »Auch ich sah, was Ihr gesehen habt, Éomer. Unter all dem Unglück dieser Welt gibt es kaum einen Schmerz, der bitterer und beschämender ist für das Herz eines Mannes, als die Liebe einer so schönen und tapferen Frau zu erkennen, die nicht erwidert werden kann. Sorge und Mitleid haben mich immer begleitet, seit ich sie verzweifelt in Dunharg verließ und zu den Pfaden der Toten ritt; und keine Furcht auf diesem Weg war so gegenwärtig wie die Furcht, was ihr widerfahren könnte. Und dennoch, Éomer, sage ich zu Euch, dass sie Euch in Wirklichkeit mehr liebt als mich; denn Euch liebt und kennt sie; aber in mir liebt sie nur einen Schatten und einen Gedanken: eine Hoffnung auf Ruhm und große Taten und Länder weit entfernt von den Feldern von Rohan.
    Vielleicht habe ich die Kraft, ihren Körper zu heilen und sie aus dem dunklen Tal zurückzurufen. Aber was sie erwartet, wenn sie erwacht, Hoffnung oder Vergessen oder Verzweiflung, das weiß ich nicht. Und wenn es Verzweiflung ist, dann wird sie sterben, es sei denn, andere Heilung kommt zu ihr, die ich nicht bringen kann. Wehe! Denn ihre Taten haben sie unter die Königinnen von großem Ruhm eingereiht.«
    Dann bückte sich Aragorn und blickte in ihr Gesicht, und es war fürwahr weiß wie eine Lilie, kalt wie Frost und hart wie gemeißelter Stein. Aber er neigte sich über sie und küsste sie auf die Stirn, rief sie leise und sagte:
    »Éowyn, Éomunds Tochter, erwacht! Denn Euer Feind ist dahingegangen.«
    Sie regte sich nicht, aber jetzt begann sie wieder tief zu atmen, sodass sich ihre Brust unter dem weißen Leinen des Lakens hob und senkte. Wiederum zerrieb Aragorn zwei athelas -Blätter und warf sie in dampfendes Wasser; und damit benetzte er ihre Stirn und ihren rechten Arm, der kalt und kraftlos auf der Decke lag.
    Ob Aragorn nun wirklich irgendeine vergessene Kraft von Westernis besaß, oder ob es nur seine Worte über Frau Éowyn waren, die sich auf dieUmstehenden auswirkten – als der süße Balsam des Krauts durch das Zimmer strömte, war ihnen, als ob ein scharfer Wind durch das Fenster wehte, und er brachte keinen Duft, sondern es war eine völlig frische und saubere und junge Luft, als ob noch kein Lebewesen in ihr geatmet hätte und sie neu erschaffen von schneeigen Bergen hoch unter der Sternkuppel herabgekommen wäre, oder von silbernen Gestaden in weiter Ferne, bespült vom Meer.
    »Erwacht, Éowyn, Herrin von Rohan«, sagte Aragorn noch einmal, und er nahm ihre rechte Hand in seine und fühlte, wie sie warm wurde, als das Leben in sie zurückkehrte. »Erwacht! Der Schatten ist fort, und alle Dunkelheit ist reingewaschen!« Dann legte er ihre Hand in Éomers und trat zurück. »Ruft sie!«, sagte er und verließ leise das Zimmer.
    »Éowyn, Éowyn!«, rief Éomer unter Tränen. Aber sie öffnete die Augen und sagte: »Éomer! Welche Freude ist das? Denn sie sagten, du seiest erschlagen. Nein, das waren nur die dunklen Stimmen in meinem Traum. Wie lange habe ich geträumt?«
    »Nicht lange, meine Schwester«, sagte Éomer. »Doch denke nicht mehr daran!«
    »Ich bin seltsam erschöpft«, sagte sie. »Ich muss ein wenig ruhen. Doch sage mir, was ist mit dem Herrn der Mark? Wehe! Sage mir nicht, dass das ein Traum war; denn ich weiß, es war keiner. Er ist tot, wie er es vorausgesehen hat.«
    »Er ist tot«, sagte Éomer, »aber er bat mich, Éowyn, die ihm teurer als eine Tochter

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