Der Herr der Ringe
Licht am Saum des Himmels, der das Meer verriet.
Und Gandalf sagte: »Dies ist dein Reich und das Herz des größeren Reiches, das sein wird. Das Dritte Zeitalter der Welt ist zu Ende, das neue Zeitalter hat begonnen; und es ist deine Aufgabe, seinen Beginn zu ordnen, und das zu bewahren, was bewahrt werden kann. Denn obwohl vieles gerettet worden ist, muss nun vieles vergehen; und auch die Macht der Drei Ringe ist zu Ende. Und all die Lande, die du siehst, und jene, die ringsum liegen, werden Wohnstätten der Menschen sein. Denn es kommt die Zeit der Herrschaft der Menschen, und die Ältere Sippe wird dahinschwinden oder von dannen gehen.«
»Ich weiß das sehr wohl, lieber Freund«, sagte Aragorn. »Aber ich würde immer noch gern deinen Rat haben.«
»Nicht mehr lange jetzt«, sagte Gandalf. »Das Dritte Zeitalter war meine Zeit. Ich war Saurons Feind; und mein Werk ist vollbracht. Ich werde bald gehen. Die Bürde liegt nun auf dir und deiner Sippe.«
»Aber ich werde sterben«, sagte Aragorn. »Denn ich bin ein Sterblicher, und wenngleich ich bin, der ich bin, und aus unvermischtem Geschlecht des Westens entstamme und ein sehr viel längeres Leben haben werde als andere Menschen, so ist es dennoch nur eine kurze Spanne. Und wenn jene, die jetzt noch im Schoß der Frauen sind, geboren und alt geworden sind, dann werde auch ich alt werden. Und wer soll Gondor dann beherrschen und jene, die diese Stadt als ihre Königin ansehen, wenn mir mein Wunsch nicht gewährt wird? Der Baum im Hof des Springbrunnens ist noch immer verdorrt und unfruchtbar. Wann werde ich ein Zeichen sehen, dass es jemals anders sein wird?«
»Wende dein Gesicht ab von der grünen Welt und schaue dorthin, wo alles öde und kalt zu sein scheint«, sagte Gandalf.
Da wandte Aragorn sich um, und hinter ihm war ein felsiger Hang, der sich herunterzog von den Säumen des Schnees; und als er schaute, bemerkte er, dass dort in der Ödnis eine einzige lebende Pflanze stand. Und er kletterte hinauf zu ihr und sah, dass genau am Rande des Schnees ein Baumschössling wuchs, der nicht mehr als drei Fuß hoch war. Schon hatte er junge Blätter getrieben, lang und wohlgeformt, dunkel oben und silbern unten, und auf seiner schlanken Krone trug er eine kleine Blütentraube, deren weiße Blütenblätter wie sonnenbeschienener Schnee schimmerten.
Da rief Aragorn: » Yé! utúvienyes! Ich habe ihn gefunden! Siehe! hier ist ein Abkömmling des Ältesten der Bäume! Aber wie kommt er hierher? Denn er ist selbst noch keine sieben Jahre alt.«
Und Gandalf kam und schaute ihn an und sagte: »Fürwahr, das ist ein Schössling aus dem Stamm von Nimloth dem Schönen; und der war ein Sämling von Galathilion, und dieser wiederum die Frucht von Telperion, dem vielnamigen, dem Ältesten der Bäume. Wer soll sagen, wie er gerade zur rechten Stunde hierher kommt? Aber dies ist eine alte Weihestätte, und ehe die Könige vergingen oder der Baum im Hof verdorrte, muss hier eine Frucht eingepflanzt worden sein. Denn es heißt, obwohl die Früchte des Baums selten zur Reife gelangen, mag dennoch das Leben viele Jahre lang schlafend in ihnen liegen, und niemand kann die Zeit voraussagen, da es erwacht. Denke daran. Denn wann immer eine Frucht reift, sollte sie eingepflanzt werden, damit der Stamm in der Welt nicht ausstirbt. Hier hat die Frucht auf dem Berg verborgen gelegen, ebenso wie das Geschlecht von Elendil in den Einöden des Nordens verborgen war. Dennoch ist der Stamm von Nimloth weit älter als Euer Geschlecht, König Elessar.«
Dann legte Aragorn seine Hand sanft an den Schössling, und siehe da! er schien nur locker in der Erde zu sitzen und ließ sich ohne Verletzung herausziehen; und Aragorn trug ihn zurück zur Veste. Dann wurde der verdorrte Baum ausgegraben, doch mit aller Ehrfurcht; und er wurde nicht verbrannt, sondern in der Stille von Rath Dínen zur Ruhe gelegt. Und Aragorn pflanzte im Hof bei dem Springbrunnen den neuen Baum, und schnell und freudig begann er zu wachsen, und als der Juni kam, war er mit Blüten überladen.
»Das Zeichen ist gegeben worden«, sagte Aragorn, »und der Tag ist nicht mehr fern.« Und er stellte Wächter auf die Mauern.
Es war der Tag vor der Sommersonnenwende, als Boten von Amon Dîn in die Stadt kamen und berichteten, schönes Volk reite aus dem Norden heran und nähere sich jetzt den Mauern des Pelennor. Und der König sagte: »Endlich sind sie gekommen. Lasst die ganze Stadt sich bereitmachen!«
Genau am Abend vor
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