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Der Herr der Tränen: Roman (German Edition)

Der Herr der Tränen: Roman (German Edition)

Titel: Der Herr der Tränen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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zurollen. Ach, Teuerste, jetzt ist er ins Feuer gerollt! Nein, kleiner Mann, greif nicht hinein! Ach, du meine Güte, sieh nur, Frau, wie seine Hand versengt wird, wie sie bis zum Knochen verbrennt. Das wird dir eine Lehre sein, kleiner Mann …
    Und als der Vater schließlich nach Hause gekommen war, hatten sie zusammen gegessen, nicht wahr?
    »Reich mir das Salz«, gluckste er bei der Erinnerung daran. Ein Junge mit einem Messer in der Hand und der Gabel in der verbrannten anderen, dessen Mund sich öffnete und schloss. Und Forger, der ihn mit schriller Stimme nachahmte. »Reich mir das Salz, Vater, reich mir das Salz. Würdest du mir bitte das Salz reichen? Vater, sieh mich an – reichst du mir bitte das Salz?«
    Er entdeckte ein großes Regenfass, stellte sich davor und wusch sich das Blut ab. Vielleicht musste er sich etwas anderes anziehen, um normal zu erscheinen. Diese Kleidung aus Lederflicken würde auffallen, und das wollte er eigentlich nicht.
    »Im Moment noch nicht«, murmelte er. »Ich weiß ja, was verflucht noch mal los ist.«
    Dreihundert Jahre, so hatte er in der Nacht erfahren, waren seit seinem Tod vergangen. Er dachte an den Augenblick, in dem er wiedererwacht war und in das hohe Gras über sich gestarrt hatte. Das war seine erste neue Erinnerung, aber sie lieferte ihm keinen Hinweis darauf, warum er in die Welt zurückgekehrt war.
    »Gut«, sagte er. »Eins nach dem anderen.«
    Er wollte nach Tallaho gehen, wo er als Fadenwirker ausgebildet worden war, aber er wusste nicht, ob er für den Fadengang schon stark genug war. Außerdem ist es vielleicht nett, ein wenig vom Land zu sehen – all die Veränderungen!
    Zufrieden mit dem fröhlichen Gedanken kehrte er zur Hütte zurück. Er würde sich Kleidung vom Vater nehmen, und vielleicht fand er sogar ein paar Münzen.
    Es blieb auch noch die letzte Frage offen.
    Er stieß die Tür auf und trat ein.
    »Also gut, ihr beiden. Eine Frage habe ich noch.«
    Die Frau war mit Ringen aus verbogenem Metall, das zuvor ein Teekessel gewesen war, an einen Stuhl gefesselt. Ihr Kopf blieb unten, doch der Mann am anderen Ende des Tisches hob den Blick und sah ihn aus blutunterlaufenen Augen an.
    »Es ist eine Frage an jeden von euch, und ich schlage vor, dass ihr gut über die Antwort nachdenkt. Verstanden?«
    Der Mann nickte ruckartig, die Frau wimmerte bestätigend. Sie hatten gelernt, was es bedeutete, nicht zu antworten.
    »Sehr gut. Also: Möchtet ihr sterben oder« – er ging auf die Frau zu, die zusammenzuckte – »lieber mit dem Schmerz leben?« Er schob ihr einen Finger unter das Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Oder ohne Schmerz leben?«
    Sie waren verwirrt und vermuteten eine List. Gab es heutzutage denn gar kein Vertrauen mehr?
    »Entscheidet euch schnell«, sagte er, »sonst entscheide ich für euch.«
    »Leben …« Der Mann hatte Schwierigkeiten, mit dem geschwollenen Kinn zu sprechen.
    »Ja?«, sagte Forger. »Mit Schmerz? Oder ohne?«
    »O… ohne«, stieß der Mann hervor.
    Die Frau schluchzte wieder.
    »Ehrlich«, sagte Forger. »Es ist doch eine einfache Frage.«
    »Meine Antwort gilt auch für sie«, sagte der Mann.
    »Also gut, der Vater antwortet für beide. Schade, wirklich, nachdem wir das alles aufgebaut haben. Es ist, als würde man seine Sandburg zertrampeln. Ach.«
    Er machte eine Geste, als würde er etwas einsammeln, und damit nahm er ihnen den Schmerz. Sie drückten sich die letzten Tränen aus den Augen, während er auf ihre Fesseln zeigte und das Metall öffnete.
    »Jetzt solltet ihr die Schnitte und Kratzer auswaschen, ehe sie sich entzünden. Und bringt die Leichen raus, ehe sie verwesen.«
    »Natürlich«, sagte die Frau und stand auf. »So dumm bin ich auch nicht.«
    Forger lachte. »Tut mir leid, Teuerste, ich sollte dir nicht vorschreiben, wie du dein eigenes Haus zu führen hast. Eigentlich sollte ich jetzt verschwinden. Ach, ich brauche neue Kleidung und einen Rucksack – würdest du mir das wohl holen, Vater?«
    »Ich denke, du solltest lieber gehen«, sagte der Mann und sah sich wütend in seiner Hütte um. »Du hast uns schon genug Leid bereitet.«
    »Oho! Bilde dir nicht ein, weil du jetzt keinen Schmerz spürst, dass ich ihn dir nicht sofort zurückgeben kann.«
    Wenigstens sträubte sich der Mann. »Also gut«, sagte er säuerlich. »Ich bringe dir etwas. Allerdings wird es dir ein wenig zu groß sein.«
    »Nicht lange, hoffe ich.«
    Kurz darauf machte sich Forger auf den Weg. Er trug eine braune Hose und

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