Der Herr der Tränen: Roman (German Edition)
konnte er sie besiegen, vielleicht aber auch nicht. Und es würde keinen Schaden bedeuten, wenn er wartete, bis er noch ein wenig gewachsen war.
»Tut mir sehr leid, Bursche«, murmelte der Große, der Forger die Hände fesselte.
»Keine Sorge«, sagte Forger. »Ich freue mich, wieder zu Hause zu sein.«
Man führte ihn in den Bergfried und durch das untere Stockwerk zum Verlies.
»Oh!« An einer Wand blieb er stehen. Ein Bildteppich stellte eine blutige Schlachtszene dar. Althalaner und Flachländer kämpften auf einem weiten, von gelbem Gras bewachsenen Feld gegen Entflochtene. »Das ist neu. Welche Schlacht sieht man darauf?«
»Geh weiter«, sagte der männliche Fadenwirker und versetzte ihm einen Stoß.
FEDERN AUS STEIN
Der muskulöse junge Mann aus dem Wirtshaus, der Cedris hieß, wie er bereitwillig mitgeteilt hatte, war seinem Wort treu geblieben. Als Rostigan und Tarzi bei Tagesanbruch am Dorfrand erschienen, erwartete sie eine Schar junger Leute, die mit ihnen aufbrechen wollte. Cedris musste recht beliebt sein, wenn seine Freunde ihm so gern folgten.
Während sie losgingen, begann Cedris bereits, laut über seine bevorstehenden Heldentaten zu reden, und Rostigan war sofort von ihm gelangweilt. Sicherlich war es gut, wenn jemand die Menschen wachrüttelte und zum Handeln ermunterte, damit er das nicht selbst tun musste. Und Tarzi hatte ihn wirklich überrascht mit ihrer Entschlossenheit, andere für diese Sache zu begeistern. Vor ihm unterhielten sich Cedris und Tarzi darüber, wie sie die Nachricht im nächsten Dorf verbreiten und noch mehr Kämpfer für Brastons Heer gewinnen konnten. Andererseits fragte sich Rostigan, ob Tarzis Beweggründe so selbstlos waren oder ob sie nicht nur auf neue Geschichten hoffte. Vielleicht hielt sie Cedris sogar für fähig, ihr neuen Stoff zu liefern? Der jüngere Mann wäre dazu
sicherlich bereit, und kurz ertappte Rostigan sich bei der Vorstellung, sie würde sich Cedris anschließen. Eifersucht loderte auf, doch er löschte die Flammen und ließ die Asche auf den tiefen Ort in seinem Inneren niederregnen. Falls es so kam, würde es für alle von Vorteil sein. Rostigan wäre frei und könnte seine Suche wieder aufnehmen – auch wenn er sie eigentlich nie unterbrochen hatte. Aber er wollte Tarzi nicht das Herz brechen. Sie war gut zu ihm gewesen, und er mochte sie, auch wenn er es nicht als Liebe bezeichnen würde. Er wollte ihr nicht wehtun, falls es sich vermeiden ließ, und sie schien ihn gnadenlos zu vergöttern. Aber ihm war nicht klar, warum eigentlich. Was hatte er getan, um ihre Bewunderung zu verdienen?
Seine Gedanken kehrten zu der Aufgabe zurück, die vor ihm lag. Nach Althala zu ziehen und sich Brastons Heer anzuschließen. Beinahe hätte er laut gelacht. Und doch, zum ersten Mal seit langer Zeit war er ein wenig nervös.
Es war gut, überhaupt ein Gefühl zu spüren.
»Ich kenne diesen Blick«, sagte Tarzi, die sich von den anderen gelöst hatte. »Du siehst Schwierigkeiten voraus.«
»Ich sehe immer Schwierigkeiten.«
»Ich weiß.«
Glücklicherweise hatte es einige Tage lang keine Schwierigkeiten gegeben. Das Wetter war gut, und sie kamen durch Orte, in denen Tarzi und Cedris weitere Männer ermuntern konnten, sich ihnen anzuschließen. Rostigan fand stets ein Wirtshaus, in dem er trinken und rauchen konnte, bis Tarzi auftauchte und ihren Auftritt hatte. Die Nachricht von der wundersamen Rückkehr der Legenden hatte sich verbreitet, und die Zweifel an Tarzis Erzählungen nahmen ab. Die Erscheinung der Wächter wurde als Tatsache betrachtet, und jeder wollte etwas darüber hören – über ihr Leben und ihre Abenteuer, ihren Sturz und ihren Tod. Tarzi spann ihre Geschichten mit noch mehr Begeisterung als sonst, und damit überzeugte sie weitere Männer, nach Althala zu ziehen.
Eines Tages, als sie nebeneinander hergingen, versetzte sie Rostigan einen freundschaftlichen Knuff.
»Komm, mein Kriegerdenkmal, warum die säuerliche Miene? Schon seit Tagen. Ist es nicht gut, endlich wieder etwas zu tun zu haben?«
Rostigan schnaubte.
»Besser, als in der Wildnis nach Kräutern zu suchen«, sagte sie.
»Ich suche gern nach Kräutern.«
Sie lachte. »Ich weiß, ich weiß. Wo wir gerade beim Thema sind: Hast du den Lockenzahn noch?«
»Nicht so laut.«
»Wir, äh … ich habe mich gefragt, ob wir ein bisschen davon verkaufen könnten. Ja? Wir brauchen Vorräte, damit dieser Haufen weitermarschiert. Einige haben nichts als ihre Kleider
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