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Der Herr der Tränen: Roman (German Edition)

Der Herr der Tränen: Roman (German Edition)

Titel: Der Herr der Tränen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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Kasernen. Dort saßen auf langen Bänken vor einem abgezäunten Bogenschießstand Soldaten, die das Gedränge auf dem Platz mit allen möglichen Gefühlen von Erheiterung bis hin zu Geringschätzung verfolgten. Rostigan war froh, dass Tarzi ihn aus der Menge herausgeholt hatte, denn auch er hielt die blauäugige Begeisterung der neuen Rekruten für irregeleitet.
    »Ihr habt viel Zulauf«, bemerkte er.
    »Jawohl«, antwortete der Offizier. »Wir …«
    Der Mann erstarrte mitten im Schritt. Aller Lärm, das Geplauder, Geklirr, Schritte, alles … verstummte. Rostigan prallte gegen jemanden vor ihm, einen Mann, der so still und starr dastand wie eine Statue. Die scharfen Knitterfalten im Hemd des Burschen zerkratzten Rostigan die Haut wie Stein. Als Rostigan sich umschaute, sah er eine erstarrte Tarzi, die zum Bogenschießstand hinüberschaute, wo Pfeile mitten im Flug in der Luft erstarrt waren. Alles blieb reglos.
    »Ah«, knurrte Rostigan. »Du hast ja lange genug gebraucht, Despirrow.«
    Er hatte sich gefragt, wann dieser Moment kommen würde, hatte ihn tatsächlich früher erwartet. Vielleicht hatte Despirrow versucht, sein Wiedererscheinen den anderen gegenüber möglichst lange zu verheimlichen, bis endlich irgendein anderes Bedürfnis die Oberhand gewonnen hatte. In ganz Aorn würde es so sein wie hier, für alle bis auf Rostigan und die anderen Wächter, die immun gegen Despirrows Gabe waren, das Verstreichen der Zeit anzuhalten.
    Wo ist er?, fragte Rostigan sich. Es war keine Frage, die er beantworten konnte – Despirrow konnte an der nächsten Ecke lauern oder hundert Wegstrecken entfernt. Nur eines war sicher – was immer Despirrow vorhatte, es ließ Böses ahnen.
    Er überlegte sich jetzt sehr genau, wohin er seinen Fuß setzte. Die Menschenmenge auf dem Platz hatte eine Menge Staub aufgewühlt. Winzige, jetzt unnachgiebige Partikel hingen in der Luft, imstande, ihn vom Bauch bis zum Rücken aufzuschlitzen, wenn er sie versehentlich passierte. Nur allzu gut erinnerte er sich an den Schmerz der Bewegungen in gefrorenen Zeitlandschaften. Solange er seinen Pfad mit Bedacht wählte, würden die Wunden so klein sein, dass er mit ihnen fertig werden konnte. Bewusst bewahrte er das Gleichgewicht auf eine Weise, über die er normalerweise nicht nachgedacht hätte. Ein Sturz in eine erstarrte Staubwolke würde so sein, als falle man durch tausend Nadelspitzen.
    »Wie lange brauchst du, Despirrow?«
    Selbst als sie Verbündete gewesen waren, hatte Rostigan den Mann nicht gemocht. All sein Charme, sein unbefangenes Lächeln, das gepflegte, stolze Äußere, das von seinen Tagen als Hoffadenwirker bei Braston übrig geblieben war, all das verdeckte eine animalische Lüsternheit, eine vernunftlose Gemeinheit, die Karrak niemals bewundert hatte. Despirrow hatte an seinen und Forgers Rockschößen gehangen und nichts mehr begehrt, als dass das Leben voller Essen und Lieder und Frauen sein sollte. Klang gar nicht so schlecht, überlegte Rostigan, es sei denn, man dachte darüber nach, wie Despirrow sich das alles verschafft hatte. Lag er jetzt gerade bei irgendeinem armen Ding, das als Einziges nicht mit erstarrt war, weil er es berührt hatte, während er den Zauber wob?
    Er dachte darüber nach, was er tun würde, wenn Despirrow jemals in Tarzis Nähe käme. Von allen Wächtern ängstigte er sie am meisten, das wusste Rostigan. Tatsächlich hatte sie seine Geschichte jüngst erzählt, bei einem ihrer Tavernenaufenthalte während der Reise hierher.
    »Nach Regret«, sagte Tarzi und stolzierte vor dem Feuer einher, »kehrten Despirrow und Braston zusammen nach Althala zurück, aber es wurde bald klar, dass der bedächtige, gewissenhafte Despirrow der alten Zeiten ersetzt worden war durch einen so selbstsüchtigen Mann, dass man nur hoffen konnte, ihm niemals zu begegnen. Nicht nur das, die Verwandlung hatte ihm auch die unglaubliche Gabe gegeben, Knoten in die Fäden der Zeit selbst zu binden – er konnte die Welt für alle anderen anhalten, während er sich frei bewegte.«
    Tarzi hob einen hölzernen Ball hoch. »Ich werde mit jedem, der den hier auffängt, heute Nacht das Bett teilen.«
    Überraschte Männer richteten sich höher auf und beäugten den Ball. Tarzi drehte sich um und warf ihn ins Feuer. Enttäuschtes Stöhnen wurde laut, und einem oder zwei Ehemännern wurde in den Arm gekniffen, weil sie sich eines hatten entfahren lassen.
    »Wenn ihr Despirrow gewesen wäret«, fuhr Tarzi fort, »hättet ihr einfach

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