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Der Herr der Tränen

Der Herr der Tränen

Titel: Der Herr der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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Geschmack von dem Mann auf der Zunge haben, der er gewesen war – einem Mann, der es geliebt hatte, über Feld und Flur zu galoppieren, dass ihm der Wind in den Ohren pfiff. Vielleicht hoffte er, dass eine Wiederholung der Erfahrung ihn besser mit seinem alten Ich in Kontakt bringen würde.
    Bedauerlicherweise hatte es sich als nicht einmal annähernd befriedigend erwiesen. Das Pferd war scheu, als spüre es die Fremdartigkeit seines Reiters. Entweder das, oder er war einfach zu schwer. Verärgert trat er dem Tier in die Flanken, damit es schneller lief, obwohl das verängstigte Pferd sein Bestes getan hatte. Für einen Moment fühlte er sich schlecht – wer war er, diese Kreatur um melancholischer Erinnerungen willen zu peinigen?
    Dann kam die Erstarrung. Das Pferd trat ebenfalls in die stille Welt ein, denn es hatte ja Kontakt zu ihm, und strauchelte sofort. Grashalme, würde er später wenig erheitert feststellen.
    Das Tier schrie, als Gras sich in seine Hufe bohrte. Ihm knickten die Vorderbeine ein, und es stürzte in das Meer wartender Halme. Sie zerstachen das Tier und machten es binnen einer Sekunde zu einem Kadaver. Salarkis flog von seinem Rücken und fragte sich, was geschehen war, während er durch die Luft wirbelte. Zuerst gab er sich selbst die Schuld – vermutlich hatte er das Tier so sehr angetrieben, dass es sich das Rückgrat gebrochen hatte.
    Als er landete, wurde er eines Besseren belehrt. Halme und Blätter des Grases bohrten sich in seine Schuppen, und wo sie Zwischenräume fanden, drangen sie ihm ins Fleisch. Es war zwar überaus schmerzhaft, aber seine harten Schuppen retteten ihn vor dem Schicksal, das sein Pferd ereilt hatte. An einigen Stellen hielten die Schmerzen an, aber das war nicht lebensbedrohlich.
    Er lag, so ruhig er konnte, um es nicht schlimmer zu machen, und starrte zu dem sternenübersäten Himmel empor.
    »Bei Wüste, Sturm und Meer, wenn ich dich finde, Despirrow …«
    Was sollte er als Nächstes tun? Sein Instinkt sagte ihm, dass er den Fadengang antreten sollte, aber das konnte er natürlich nicht. Wenn er vorsichtig war, konnte er vielleicht aufstehen und auf dem Gras gehen, aber er hatte keine Ahnung, wie weit er von der nächsten Straße entfernt war oder von nacktem Boden oder Felsen, auf dem er stehen und gehen konnte. Vielleicht war es das Beste, einfach abzuwarten, während Despirrow tat, was immer er im Sinn hatte.
    In dem Bemühen, seine Verletzungen zu ignorieren, schickte er sich an zu warten.
    Mergan saß in einer Taverne, als die Erstarrung eintrat, an einem Tisch, an dem er alle und jeden bewirtete, während er sich unablässig weitere Speisen aus der Küche kommen ließ. Jetzt saßen seine Gäste mit glasigen Augen da, die Mahlzeit vor ihnen wie ein gemeißeltes Festmahl. Selbst der Dampf, der sich von dem kross gebratenen Schwein erhob, schwebte jetzt als ortsfestes Wölkchen in der Luft.
    Er wartete einige Zeit, die sich wie Stunden anfühlte, obwohl solche Maße ohne das Verstreichen des Tages keine Bedeutung hatten. Er hatte schon vor langer Zeit das Stück Fleisch aufgegessen, das er in der Hand gehalten hatte, als die Zeit stehen geblieben war, und er wurde zunehmend ungeduldig und wartete auf seine nächste Portion.
    In der Zwischenzeit hatte er Gelegenheit, seine Gäste zu mustern. Flachländer größtenteils, denn er befand sich im Königreich der Flachlande. Besonders ein Mädchen hatte seine Aufmerksamkeit erregt, und er hatte – während er aß – ein wenig mit ihr geflirtet. Sie hatte einige Male über seine Witze gelacht, das wärmste Lachen, das er je gehört hatte. Außerdem hatte sie ihn ein- oder zweimal recht seltsam angeschaut, und er hatte versucht, den Wahnsinn zurück unter seine Stirn zu zwingen, damit er nicht so hell in seinen Augen leuchtete. Er fragte sich, ob sie nach einem guten Essen und einigen Gläsern Wein vielleicht ein oder zwei Augenblicke der Zuneigung für einen großzügigen alten Mann entwickeln konnte. Er sah gar nicht so schlecht aus, nicht wahr, für sein Alter? Gewiss nicht für mein Alter!, dachte er und kicherte. Die beiden Tage, die er seit seiner Flucht aus dem Grab damit verbracht hatte, umherzustreifen und zu essen, hatten gewiss Wunder gewirkt. Obwohl sein Haar, vermutete er, nach wie vor recht wild war – vielleicht hätte er sich darum kümmern sollen.
    Aber ich kann nichts tun, bis du mich loslässt, verdammter Despirrow.
    Er erhob sich, obwohl er nirgendwo hinkonnte. Die Tür der Schenke war

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