Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Tränen

Der Herr der Tränen

Titel: Der Herr der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
Vom Netzwerk:
Vermutungen«, antwortete Yalenna. »Meine Fäden hätten sich in die Große Magie einfügen sollen, als ich mich geopfert habe.« Das war schließlich der Sinn gewesen. »Sag mir, lieber Harren, hast du schon einmal von einem solchen Ereignis gehört?«
    Er runzelte die Stirn. »Nicht in dieser Form. Nicht von einzelnen Menschen jedenfalls. Manche hegen Vermutungen über Wiedererscheinungen – eine Pflanze oder ein Tier, die der Welt verloren waren, sind manchmal wie aus dem Nichts wieder aufgetaucht, als habe die Große Magie entschieden, ihre Struktur wiederherzustellen. Aber wir wissen nicht sicher, was eigentlich passiert. Vielleicht wurde etwas einfach lange Zeit nicht gesichtet, weil es sich in stillen Ecken der Welt verborgen hat, bis es wieder herauskam.«
    Yalenna seufzte. »Dann erzähl mir von dem Verlöschen des Tageslichts.«
    »Es war genau wie in den Legenden über den Herrn der Tränen … und die Wächter.« Er musterte sie und wartete vielleicht, ob sie einen Fehler machen und sich vielleicht bei einer Lüge erwischen lassen würde. »Der Tag verdunkelte sich für einige Augenblicke, als habe sich eine Hand vor die Sonne geschoben.«
    »Die Verderbnis bleibt also bestehen?«
    »Schwer zu sagen. Manche Dinge in der Welt erscheinen einfach … seltsam. Allerdings nie im gleichen Ausmaß wie zu der Zeit, als die Wächter geherrscht haben.«
    »Braston und ich haben die Wächter getötet, und auch uns selbst, um das zurückzugeben, was wir genommen hatten. Hatten wir Erfolg? Ist die Wunde geschlossen?«
    Harren und Arah sahen sich an.
    »Wir sind uns dessen nicht sicher«, antwortete Arah. »Bislang ist niemand aus dem Tal des Friedens zurückgekehrt, um Bericht zu erstatten.«
    »Die Entflochtenen leben immer noch dort?«
    »Ja.«
    »Nach all der Zeit? Niemand hat sie besiegt? Oder geheilt?«
    Harren verzog höhnisch den Mund, und Arah schüttelte den Kopf.
    »Es wäre Selbstmord, dort hinzugehen. Gelegentlich hört man Gerüchte, dass die Wunde gesehen wurde, vor allem von den Flachländern, die tollkühn genug sind, sich auf die Roshausgipfel vorzuwagen. Wenn es die Wunde gibt, befindet sie sich jedenfalls nicht hoch genug, dass man sie von der anderen Seite der Berge aus sehen kann.«
    Yalenna wurde übel. »Es war vergeblich. Ich habe Braston umsonst dazu überredet, sein Leben zu beenden.«
    »Das würde ich nicht sagen«, meinte Arah. »Nachdem die Wächter und ihre Magie verschwunden waren, hörte die Verderbnis zum größten Teil auf. Die Erdbeben, die Missgeburten, der Himmel.«
    »Des Opfers von Yalenna und Braston«, sagte Harren, »wird als Akt großer Barmherzigkeit gedacht.«
    Yalenna fiel auf, wie verhalten er ihren Namen aussprach.
    »Mag sein«, erwiderte sie, »doch unser Ziel bestand darin, die Große Magie zu heilen. Wir hatten gehofft, die Wunde hinter dem Schleier zu schließen, als wir unsere Fäden lösten.«
    »Vielleicht bist du deshalb zurück?«, gab Arah zu bedenken. »Um zu beenden, was du begonnen hast? Die Große Magie möchte bestimmt geheilt werden. Vielleicht solltest du eine zweite Chance bekommen.«
    Yalenna starrte Arah unsicher an. Obwohl sie jung war, strahlte sie Ernsthaftigkeit und Unschuld aus. Vermutlich kam ihre Erklärung der Wahrheit nahe. Die Große Magie war ein Mysterium – wer wusste schon, wozu sie fähig war?
    »Wir sollten uns nicht in Spekulationen verlieren, Priesterin«, wandte Harren ein. »Wir wissen nicht einmal, ob sie wirklich Yalenna ist.«
    »Hüte deine Zunge«, gab Arah zurück. »Du hast sie selbst untersucht und keine Spur von Arglist entdeckt.«
    Yalenna war froh, dass das Mädchen so durchsetzungsfähig war. Vielleicht hatte Arah es selbst noch nicht erkannt, doch für Yalenna gab es keine Zweifel. Harren hingegen wirkte im Augenblick bestürzt.
    Schritte näherten sich eilig, und ein junger Mann stürmte herein. Er blieb stehen und sah sich blinzelnd um – gleichermaßen aufgeregt und eingeschüchtert.
    »Äh … ich bitte mein Eindringen zu entschuldigen …«
    Harren schien dankbar zu sein, jemanden anfauchen zu können. »Steh nicht da wie eine Salzsäule, Kor. Was gibt es?«
    »Ich … äh …«
    »Tritt vor!«, verlangte Harren. »Sprich klar! Ist eine Nachricht gekommen?«
    Kor nickte heftig. »Ja, Herr … Herrin … meine Damen.« Er schluckte. »Aus Althala. Es heißt … es heißt, Braston sei zurück!«
    »Braston?« Yalenna konnte es nicht glauben. Warum hatte sie nicht daran gedacht, nach den anderen zu fragen? Sie

Weitere Kostenlose Bücher