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Der Herr der Tränen

Der Herr der Tränen

Titel: Der Herr der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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ferne Blutergüsse – oder als wäre die Sonne eine Laterne, die hinter einem Laken mit Schmutzflecken brannte. Vielleicht, und Rostigan hoffte es, waren das nur die Vorzeichen der anbrechenden Nacht. Oder …
    »Vielleicht Wolken«, sagte er.
    »Das sind keine Wolken, und das weißt du ganz genau. Die Große Magie leidet. Fühlst du dich nicht bemüßigt, etwas zu unternehmen? Du bist doch ein großer Krieger, oder?«
    Rostigan spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. »Ich begleite dich doch, ja? Du hast mich nie gefragt, ob ich will oder nicht, und trotzdem bin ich hier. Erwarte nur nicht von mir, dass ich Dorfjungen aufscheuche, damit sie sich auf dem Schlachtfeld umbringen lassen.«
    »Natürlich nicht«, sagte Tarzi. »Dazu wäre ja auch ein Hauch Gefühl notwendig, ein bisschen Leidenschaft.«
    Sie beobachtete ihn genau, als suchte sie nach dieser mangelnden Leidenschaft.
    Rostigan zog an seiner Pfeife.
    »Du bist ein seltsamer Mann«, sagte sie, erhob sich und ging ins Gasthaus.
    Bald hatte die Nacht die Geschwüre am Himmel verschlungen. Im Gasthaus begann Tarzi zu erzählen, und es wurde mucksmäuschenstill. Obwohl sie jetzt nicht mehr nur unterhalten wollte, legte sie trotzdem gute Auftritte hin, spielte mit Worten, sprach mit unterschiedlichen Stimmen und sprang von einem Platz zum anderen, um die verschiedenen Rollen zu verkörpern. Rostigan saß allein im Dunkeln vor dem Gasthaus und lauschte mit halbem Ohr. Er wollte es eigentlich nicht, doch ihre Worte drangen zu ihm durch. Am Ende drehte er sich um und schaute durch das Fenster hinter sich. Tarzi stand wie gewöhnlich vor dem Feuer und sprach eindrücklich. Alle Blicke waren auf sie gerichtet. An dem tiefen Ort in seinem Inneren wusste Rostigan, dass sie es mit den Barden der größten Könige aufnehmen konnte.
    »Ehe Salarkis gegen den Herrn der Tränen gekämpft hatte, sah er aus wie ein Mensch«, sagte Tarzi. »Doch danach hatte sich sein Äußeres von allen Wächtern am meisten verändert. Die Fäden, die er vom Herrn der Tränen bekommen hatte, ähnelten jenen, mit denen der Herr der Tränen seine Ungeheuer erschaffen hatte. Salarkis wurde selbst zum Ungeheuer mit harten Schuppen statt Haut, scharfen Zähnen und Steinfedern als Haar. Absonderlich!«
    Sie sprang auf ein Kind zu, das vor Entzücken – oder Entsetzen – aufkreischte.
    »Außerdem erlangte er besondere Fähigkeiten. Er konnte sich schnell von einem Ort zum anderen bewegen und jeden finden, von dem er nur den Namen kannte. Wie heißt du?«
    Dem Mann, den sie sich ausgesucht hatte, war sein Unbehagen deutlich anzumerken. »Tavan.«
    »Nun, stell dir vor, guter Tavan, du wärest Salarkis auf irgendeine Weise aufgefallen. Vielleicht würde er persönlich zu dir kommen … oder vielleicht würde er einfach nur einer Klinge deinen Namen nennen und sie auf den Weg schicken. Gleichgültig, wie weit du entfernt bist, die Waffe würde fliegen und fliegen und fliegen, bis sie durch das Glas kracht … « Sie fuhr herum und zeigte mit beiden Händen zum Fenster. Tavan wäre beinahe aufgesprungen. »… und sich tief in deine Brust bohrt!«
    Die Zuhörer lachten über Tavans Schreck, und er errötete.
    »Na, ja«, knurrte er, »wie würdet ihr reagieren, wenn das jemand mit euch macht?«
    »Salarkis«, fuhr Tarzi fort, »konnte fast jeden auf der Welt töten, ohne auch nur in dessen Nähe zu sein. Natürlich nicht die anderen Wächter, sonst hätte er Yalenna, Braston und Mergan seine Messer geschickt. Stattdessen wurde er zum Boten für die anderen und genoss es, sich an ihrem Vernichtungswerk zu beteiligen. Als Karrak gegen Galra zog, entschied sich der König, mit seinem Heer keinen Ausfall zu machen, sondern sich in seinem Thronsaal zu verstecken. Salarkis nannte einer Axt seinen Namen und schickte sie über die Burgmauern, durch eine Balkontür, den Gang entlang und eine Wendeltreppe hinauf. Und dann!« Sie klatschte laut in die Hände. »Dann traf sie den König mit solcher Wucht, dass der Thron gegen die Wand prallte und sein Holz ebenso wie die Rippen des Königs zermalmt wurden.«
    Sie schaute sich unter den Zuschauern um. »Ja, sie hatten eine wunderbare Zeit, Karrak und Forger, Despirrow und Salarkis. Heere zogen durchs Land, Flüsse färbten sich blutrot, und Karraks Krähen wurden fett, so viele Augen fraßen sie. Aber einer nach dem anderen fielen Salarkis’ Gefährten oder verschwanden, bis er als Einziger übrig blieb. Er floh. Yalenna und Braston jagten ihn lange,

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