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Caroline

Caroline

Titel: Caroline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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I
     
    »Das Mittelmeer sieht immer so ruhig und harmlos aus«, flüsterte CyberNel.
    Ich spielte mit ihren Fingern auf der Lehne ihres Stuhls, den ich neben meinen gezogen hatte, sodass wir wie ein verliebtes, verträumtes Touristenpaar die vereinzelten kleinen Lichter auf dem Wasser und entlang der Festlandküste betrachten konnten. Um uns herum speisten und plauderten weitere Gäste in der gemütlichen und ziemlich romantischen Atmosphäre, wie sie kleinen Hotels auf kleinen französischen Inseln eigen ist. Im Hintergrund spielte leise Musik.
    »Und doch lauern dort draußen Monster, Lotusesser und dichter Nebel. Wenn man sich darin verirrt, segelt man, ehe man sich’s versieht, über den Rand der Erde hinaus, in die Hölle oder in den Himmel hinein, das weiß kein Mensch, denn noch niemand ist je von dort zurückgekehrt.«
    Die Tochter der Hotelbesitzer brachte Eis und Kaffee und servierte einen Marc de Provence dazu. Kerzen flackerten in der leichten Brise, die durch die offenen Fenster hereinwehte. Bereits seit einigen Tagen herrschte auf der Insel ein äußerst angenehmes Klima, sowohl nachts als auch tagsüber.
    »Der Himmel ist hier«, sagte CyberNel. »Weißt du, warum?«
    »Weil es hier keine Autos gibt. Niemand hat es eilig. Die schönen Mädchen laufen alle im Bikini auf offener Straße herum oder sind auf Mieträdern unterwegs. Und dazu noch das gute Essen …«
    CyberNel kicherte. Sie las stets die Prospekte. »Nein, weil die Insel eigentlich eine verzauberte Prinzessin ist, eine der bildschönen Töchter des Königs Olbianus. Sie und ihre Schwestern badeten jeden Tag im Meer und eines Tages schwammen sie zu weit hinaus und wären um ein Haar in die Fänge von Seeräubern geraten.«
    »Nach Skylla sehnt sich ein Pirat schon mal nach etwas anderem .«
    »Du denkst auch wirklich nur an Sex. Jedenfalls wurden die Prinzessinnen in letzter Minute von einer freundlichen Göttin gerettet, die sie verzauberte und … Ach, merde!«
    CyberNel sprang auf, weil jemand an ihren Stuhl und gegen ihren Arm gestoßen war, sodass sie sich den heißen Kaffee über ihre weiße Leinenhose gegossen hatte.
    Ein junges Mädchen stieß auf Französisch verwirrte Worte des Bedauerns hervor: »Oh je, es tut mir ja so leid, bitte entschuldigen Sie, das ist ja schrecklich.« Nel tastete nach ihrer Serviette. Mein Stuhl schabte über die Bodenfliesen, als ich mich zu ihr beugte, ihr die Serviette abnahm und rasch die dampfenden Flecken betupfte.
    Das Mädchen war stehen geblieben. Ich erblickte ein aschfahles Gesicht ohne Kinn, mausgraue Augenbrauen und einen rosigen Schädel mit flaumigem Haar, als habe eine Chemotherapie ihre grausamen Spuren hinterlassen. Sie hielt ein in grauen Stoff gebundenes Notizbuch an die Brust gepresst und sah aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen.
    »Ça va«, sagte ich und gab ihr mit einem gereizten Winken zu verstehen, dass sie weitergehen solle. »Ça va, merci beaucoup.« Das Mädchen drehte sich um. Ich schimpfte: »Hässlicher Trampel«, und beugte mich wieder über Nel.
    »Max, benimm dich«, tadelte mich Nel.
    Ich sah, wie das Mädchen kurz stehen blieb und den Rücken straffte. Dann flüchtete sie durch die Tische hindurch ins Foyer. Einige Leute schauten ihr hinterher.
    »Mist«, murmelte ich. »Ob die Niederländisch versteht?«
    CyberNel stand auf und zupfte mit Daumen und Zeigefinger an der Hose, die an ihren Oberschenkeln klebte. »Selbst mitten unter Eskimos hat man sich noch anständig zu benehmen. So was nennt man Manieren.«
    »Yes, ma’am. Aber du musst zugeben, dass sie wirklich hässlich ist. Wohnt sie auch bei uns im Hotel?«
    Nel seufzte laut. »Sie sitzt jeden Abend an dem Tisch dort an der Wand. Ich glaube, dass sie sehr schüchtern ist und die ganze Zeit so tut, als würde sie schreiben, um in Ruhe gelassen zu werden.«
    »Sie ist mir überhaupt noch nicht aufgefallen.«
    »Das liegt daran, dass du genauso dämlich bist wie der Pirat in der Sage.«
    Ich hob den Blick. »Ist es dämlich, dass mir schöne Mädchen lieber sind?«
    »Was meinst du denn mit ›schön‹?«
    »Na, weniger hässlich eben, sodass die Hunde sie wenigstens nicht gleich verbellen. Mehr so wie du.«
    Doch all meine Witzeleien trafen den falschen Ton. Nel blieb unversöhnlich und konterte: »Vielleicht hat sie dafür eine schöne Seele. Was bist du nur für ein grober Klotz. Ich gehe jetzt rauf.«
    Wütend stand sie auf und ließ mich allein zurück. Ich unterschrieb den Beleg,

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