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Der Herr der Tränen

Der Herr der Tränen

Titel: Der Herr der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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In diesem Steinbruch sollten die Sklaven sterben, auf steinigem Grund bar aller Vegetation direkt vor der Stadt Ander. Alcrane, König der Flachlande, hatte sich anscheinend in einen bitteren Streit mit Königin Cordahl von Sortree verstrickt, und ein jeder von ihnen hatte geglaubt, der andere plane einen Angriff. Der Rest der Welt hatte nicht verstanden, warum diese ehemals friedlichen Nachbarn aufeinander losgingen, zumal es da so viele andere Dinge gab, um die man sich hätte kümmern müssen. Niemand wusste, dass Karrak sowohl Alcrane als auch Cordahl besucht und ihren Geist mit Hass und Unwahrheiten erfüllt hatte, um sie gegeneinander aufzubringen. Sie hatten gegeneinander Krieg geführt, bis Karraks Worte endlich verblasst waren, und dann hatten sie gemeinsam ihren Fehler beweint … und es war für Karrak an der Zeit gewesen, seine Streitkräfte gegen das zu führen, was von den beiden Reichen übrig geblieben war, und sowohl die Flachlande als auch Sortree endlich seinem Reich einzuverleiben.
    »Kommt«, sagte er zu seinen Hauptleuten. »Ich werde die neue Ware inspizieren. Um festzustellen, ob irgendwelche Leckerbissen dabei sind.« Sie lachten, und er führte sie zu den Wagen.
    Krähen versammelten sich auf den kahlen Zweigen der wenigen Bäume am Rand der Steinbrüche oder flatterten hinunter, um sich auf die Felsen zu hocken. Sie waren eine ständige Bedrohung, die die Sklaven an der Kandare hielt – wer sich saumselig zeigte, lief Gefahr, ein Auge zu verlieren. Einige der Vögel flogen Karrak voran, als er an dem Sklavenzug entlangritt und die traurigen Gesichter hinter den Gitterstäben inspizierte. Für gewöhnlich erwärmte ihn dergleichen Tun, aber heute fand er die Erfahrung seltsam leer. Er hatte es bereits viele Male getan – vielleicht zu oft, denn die erwartete Befriedigung stellte sich nicht ein. Das machte ihn böse; er knurrte und stieß sein Schwert willkürlich zwischen den Gitterstäben eines Wagens hindurch. Aus dem Inneren kam ein Aufschrei, ein dumpfer Aufprall, und ein Kind begann zu weinen.
    »Glückstreffer«, sagte er zu seinen Hauptleuten und wischte seine Klinge sauber, und sie lachten.
    Sie lachten immer. Zwei Gestalten stolperten hinter dem Wagen her, an den Handgelenken gefesselt. Ein älterer Mann, dessen strähniges Haar und Bart voll getrockneten Blutes waren, und eine hagere Frau, die die Augen vor Sorge so stark zusammenkniff, dass selbst die Sommersprossen auf ihren Wangen in den Fältchen verschwanden.
    »Das sieht doch vielversprechend aus«, murmelte Karrak.
    Der Mann – ihr Vater, schätzte er aufgrund der Ähnlichkeit ihrer Züge – fiel beinahe, und sie schob ihm die gefesselten Handgelenke unter den Arm, um ihn zu stützen. Plötzlich schoss eine Krähe auf ihn herab, flatterte um seinen Kopf herum und hackte mit dem Schnabel nach seinem Gesicht. Er fluchte und schlug um sich, machtvoll selbst mit gefesselten Händen; die Krähe stürzte zu Boden, wo sie liegen blieb und hilflos mit einem Flügel schlug.
    »Nun«, sagte Karrak und ließ sich von seinem Pferd gleiten, »Zeit, den Neuen die Hackordnung beizubringen. Halt den Wagen an!«
    Der Fahrer gehorchte, und die Wagen, die folgten, blieben ebenfalls stehen.
    »Sieh mich an«, sagte Karrak, legte das Schwert unter das Kinn des Mannes und zwang ihn damit, den Kopf zu heben. Furchtsame Augen schauten ihn an, aber es flackerte auch Zorn darin.
    »Wer bin ich?«, fragte Karrak.
    Der Mann strich sich mit der Zunge über rissige, ausgedörrte Lippen. »Karrak«, krächzte er. »Der … verfluchte … Herr der Krähen.«
    »Und was hast du gerade getötet?«, fragte Karrak weiter.
    Ohne auf eine Antwort zu warten, schob er dem Mann das Schwert in die Kehle. Die Tochter schrie auf, als ihrem Vater Blut über die Brust strömte und er in den Staub fiel.
    »Lasst euch das eine Lehre sein!«, brüllte Karrak, und seine Stimme donnerte über den Wagenzug. »Ich bin jetzt euer Herr, und diese Krähen sind mehr wert für mich als ihr!«
    »Verdammt sollst du sein«, rief die Frau, und Tränen spülten den Dreck aus ihren hasserfüllten Augen. »Du bist nichts als eine Pest, die das Land heimsucht.«
    »Hüte deine Zunge«, sagte einer seiner Hauptleute und trat mit erhobener Hand vor.
    Karrak blinzelte … und er sah.
    Noch nie zuvor und nie wieder seither hatten sich ihm die Strukturen gezeigt wie an diesem Tag. Ein Rausch von Bildern erfüllte seinen Geist und zeigte ihm, wie die Dinge hätten sein können, wenn er auf

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