Der Herr der Tränen
»Sterbliche mit schwachem Willen, die sie waren.«
Forger lachte leise. »Du bist so verdrossen. Als ich hereinkam, sah es so aus, als wolltest du einen Graben in den Boden laufen. Du musst lernen, deine Erfolge auszukosten.«
»In der Tat«, sagte Karrak und nahm noch einen Schluck.
»Wie ich zum Beispiel«, entgegnete Forger. »Ich strotze vor Macht und könnte noch mehr haben, aber ich bin vielleicht schon groß genug geworden. Noch mehr, und ich würde die Welt nicht mehr genießen können, denn ich passte nicht länger durch ihre Türen, geschweige denn in ihre Frauen! Also füge ich meinen Leuten nur das Maß an Schmerz zu, das ausreicht, meine Stärke zu erhalten, und ich erstrebe nicht mehr oder weniger.«
»Was sagst du da?«, fragte Karrak ungläubig. »Du bist zufrieden?«
»Vielleicht. Was mehr könnte ein Mann wollen? Wein, Mädchen, eine Auswahl an Burgen, ein Chor des Leidens in seinem Namen … oh, ich weiß, sie sind dort draußen und arbeiten darauf hin, das alles zu nehmen. Doch ohne eine kleine Herausforderung würde ein Mann sich langweilen, meinst du nicht?«
»Du wünschst dir einen Konflikt?«, hakte Karrak nach, während er noch mehr Wein trank.
»Eigentlich nicht. Aber du tust es.«
»Was?«
»Nun, sieh dich doch an. Seit der Mond das letzte Mal voll war, hast du zwei Königreiche erobert. Mauern, die Jahrhunderte standen, sind zu Staub zermahlen worden, und doch finde ich dich lustlos vor. Für dich ist es nicht genug, erobert zu haben. Du musst weiter erobern. Du bist wie ein Jäger, der hinter einem Fuchs her ist – der Kitzel liegt in der Jagd. Aber was bleibt dir am Ende schon?«
Karrak schmatzte mit den Lippen. »Was bleibt mir denn, Forger?«
»Ein toter Fuchs. Das, was ihn für dich verlockend gemacht hat – seine Schnelligkeit, seine Schläue, die Herausforderung, die er darstellte –, ist verschwunden. Also, ich nehme an, es gibt Möglichkeiten, wie du dich in der Zwischenzeit unterhalten kannst. Du kannst Sklaven bestrafen und dafür sorgen, dass dein Heer gut in Schuss bleibt. Deine Männer töten, wie du es heute getan hast.«
Karrak legte die Stirn in Falten. »Du hast davon gehört?«
»Ich will dich nicht kritisieren, Bruder. Es ist schon vorgekommen, dass ich selbst einigen Schaden angerichtet habe. Aber da ich weiß, wie hart du daran gearbeitet hast, dir die Loyalität deiner Hauptleute zu sichern, erscheint es mir seltsam, dass du sie ohne einen guten Grund bestrafst. Das wird diejenigen, die dir am nächsten sind, verwirren, wenn sie sich zuvor vor deinem Zorn sicher fühlen konnten.«
»Es schert mich kein Yota, was sie fühlen.«
Es war die Wahrheit. Es scherte ihn nicht, was irgendjemand empfand, nicht einmal Forger. Niemand außer ihm selbst – und jetzt ihr . Aber etwas für sie zu empfinden war beinahe so, als würde er etwas für sich selbst empfinden, denn sie war etwas, das er wollte. Es ging immer noch um ihn selbst und seine Selbstsucht.
Diese Erkenntnis brachte die Entscheidung. Wenn all seine Insignien, sein Einfluss und seine Macht ihn nicht mehr zufriedenstellten, waren sie nur eine Zeitverschwendung. Da er sie sich selbst verdient hatte, war es sein Recht, sie hinter sich zu lassen.
»Du hängst nun schon seit einer Weile an dieser Flasche«, bemerkte Forger.
Karrak nahm noch einen Schluck und reichte sie zurück.
Forger hob sie. »Auf unseren fortgesetzten Erfolg!«
»Ich dachte, du hättest behauptet, zufrieden zu sein«, meinte Karrak und ging zu einem Schrank, in dem weitere Flaschen warteten.
»Das will nicht heißen, dass ich eine gute Fuchsjagd nicht zu genießen wüsste! Wir müssen einfach einen neuen Fuchs finden. Beispielsweise … hm … ich weiß nicht … den Westen?«
Karrak musterte Forger, der es sich bequem gemacht hatte, der fröhlich und beschwipst war und zu groß für seine Haut. Er wollte nicht gegen diesen Mann kämpfen, wie er es gewiss würde tun müssen, wenn er versuchte, seine Sklaven freizulassen und allen ihre Königreiche zurückzugeben. Forger würde dergleichen als Verrat sehen, und dann wäre Karrak nicht frei.
Der Boden begann zu zittern, Gläser im Schrank vibrierten. Karrak streckte die Hand aus, um eine Flasche festzuhalten, und wartete darauf, dass das Rumoren vorbeiging. Nach einigen Momenten tat es das.
»Es geschieht unseretwegen, behauptet Yalenna«, sagte Forger. »Das ist der Grund, warum sie uns tot sehen wollen.«
»Es ist einer der Gründe.«
»Glaubst du es, Karrak? Die
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