Der Herr der Unruhe
ich viel Anlass zum Staunen: das antike Neptunia und Antium, die Villa des Nero, der Torre Astura, die Höhlen unter Nettunos Altstadt, das Herumschieben der dortigen Bevölkerung – erst durch die Besatzer, später durch die Befreier –, die wechselvolle Geschichte des Juden-Ghettos in Rom, das zwiespältige Wirken des Vatikans vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg, das Wien zwischen den großen Kriegen – nicht selten lief ich Gefahr, mich in den fessel n den Details zu verstricken.
Ach ja, beinahe hätte ich das bergauf fließende Wasser vergessen. Wunderbar in Herbert Rosendorfers Geschichte »Das Anti-Newton-Institut« beschrieben, habe ich mich selbst von diesem Phänomen verblüffen lassen. Ich saß mit anderen in einer Limousine, die mit ihrer ganzen Masse auf den Asphalt drückte, und konnte nicht fassen, wie eine zarte Frau sie mit zwei Fingern ins Rollen brachte – den Hang hinauf. Für derlei Experimente sind keine bei Vollmond geopferten schwarzen Katzen erforderlich, man muss nur die richtige Stelle auf der Verbindungsstraße zwischen der Via dei Laghi und Ariccia finden. Jeder kann sich dort zu jeder Tageszeit selbst von dem Wunder überzeugen, das Nicos Glauben an das unmöglich Erscheinende wieder au f leben ließ. Eine wundervolle Metapher, wie ich finde: Jede Zeit hat ihre Gedankenuniformen – Grund genug, ab und zu seine Garderobe zu wechseln.
Die Geschichte hinter meiner Geschichte ist ebenfalls wechselvoll. Früh entschied ich mich, den Fokus nach It a lien zu verlegen. Eine Stadt musste her, die während der Landung der Alliierten zwar eine gewisse Rolle gespielt hatte, aber sie sollte nicht allzu bekannt sein, zu groß wäre die Gefahr, mit dem Schul- und Allgemeinwissen meiner Leser zu kollidieren. Ich fragte meinen Agenten – er lebt in der Nähe von Rom – nach einem unauffälligen Örtchen. Er empfahl mir Nettuno.
Als ich die überschaubare Gemeinde am Tyrrhenischen Meer, in unmittelbarer Nähe zum allseits bekannten Anzio, im Juni 2003 zum ersten Mal besuchte, freute ich mich, die passende Spielwiese für meine Fiktionen gefunden zu h a ben. Bei den weiteren Recherchen wurde mir jedoch schnell klar, dass Anzio und Nettuno nicht zu trennen sind, waren sie doch bis 1856 sowie zwischen 1939 und 1945 eine G e meinde. Plötzlich lastete auf mir der Druck, einen der e x poniertesten Kriegsschauplätze des Zweiten Weltkrieges und zudem seit der Antike bedeutenden Ort genau und f a cettenreich aus der Sicht eines Einheimischen zu schildern. Was half mir dabei? Die Sicht eines Einheimischen.
Obwohl die Liste der Quellen, die ich für meine Reche r chen herangezogen habe, sehr lang ist, gilt daher mein b e sonderer Dank Signor Silvano Casaldi – ich hoffe, ihm in dem Buch das ihm gebührende Denkmal gesetzt zu haben. Der Direktor des heute im Forte Sangallo untergebrachten Museums von Nettuno hat mir manch skurrile Frage b e antwortet und, auch wenn es um die Zeit des Faschismus ging, nicht schamhaft geschwiegen.
»Demnächst wirst du wohl gemeldet«, schrieb mir mein Agent, Roman Hocke, der zweite unermüdliche Helfer bei der Jagd nach Informationen. Ohne ihn wäre aus der u r sprünglichen Idee vom Doctor Mechanicae eine völlig a n dere Erzählung entstanden. Roman war mir aber nicht nur Muse, sondern auch dramaturgischer Mentor, zweibeinige Datenbank, Dante-Experte, Fremdenführer, kritischer G e sprächspartner, Hotelier, Gastronomieberater, Chauffeur und Dolmetscher. Doch sogar er wäre ohne seine bessere Hälfte für mich wohl nur halb so wertvoll gewesen. Andrea hat unseren Geist und Körper aufs Beste versorgt. Sie und Roman verdienen meinen tiefempfundenen Dank.
Die nötige Orientierung in der österreichischen respektive der Wiener Geschichte verschaffte mir Dr. Helmut Reisi n ger, dem ich ebenso danken möchte wie, last but not least, meiner Frau. In den schwierigen Tagen während meiner kreativen Konzentrationsverschiebungen hat sie viel G e duld bewiesen. Und nun muss sie auch noch als Grund für dieses verrückte Buch herhalten …
Ralf Isau wurde 1956 in Berlin geboren. Mit der Kinderg e schichte Der Drache Gertrud erweckte er das Intere s se von Michael Ende und fand so einen Verlag für sein er s tes Buch.
Seitdem hat er über ein Dutzend Romane geschrieben, da r unter die inzwischen legendäre »Neschan«-Trilogie und den vierbändigen Zyklus »Der Kreis der Dämmerung«. Seine Werke wurden in zwölf Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen
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