Der Herr der Unruhe
Gespräch zwischen dem italienischen Standartenführer, der gerade nebenan ist, und einem deutschen SS-Offizier belauscht. Sie beglück-wünschten sich zu dem ›Husarenstückchen‹ eines gewissen SS-Sturmbannführers Otto Skorzeny. Sie sprachen zwar Italienisch, benutzten aber dieses Wort, mit dem ich nichts anfangen kann.«
»Ein Husarenstück ist ein tollkühner Handstreich.«
»Das würde passen. Mussolini war ja nach seiner Verhaftung in einem Grand Hotel auf dem Gran Sasso festgehalten worden.
Jetzt sind deutsche Fallschirmjäger in den Abruzzen gelandet und haben ihn befreit. Man munkelt, sie hätten ihn zur ›Wolfsschanze‹
gebracht, Hitlers Hauptquartier. Ich will ja nicht den Teufel an die Wand malen, aber ich würde mich nicht wundern, wenn der neue Duce bald wieder der alte ist.«
»Sofern die Alliierten das zulassen«, entgegnete Nico ohne 294
rechte Überzeugung. Die Erfolgsmeldungen der BBC waren vielleicht auch nur Kriegspropaganda.
Abbado beugte sich noch weiter vor. »Hören Sie, Signor dei Rossi. Ich würde Ihnen ja gerne helfen, aber mir sind die Hände gebunden. Tauchen Sie unter, bis dieser Spuk vorüber ist. Sollte es mich danach in diesem Haus noch geben, dann steht meine Tür Ihnen jederzeit offen. Kommen Sie wieder, und wir helfen Justitia auf die Sprünge.«
Nico war sichtlich geknickt. Mit finsterer Miene erhob er sich.
»Und noch etwas«, sagte Abbado.
»Ja?«
»Massimiliano Manzini.«
»Was ist mit ihm?«
»Er ist wieder auf freiem Fuß. Das Oberkommando der Wehr-
macht hat ihn zum Statthalter in Nettunia eingesetzt.«
Es war nicht leicht gewesen, die schwarze Farbe aufzutreiben, aber Nicos Bereitschaft, anderen Menschen in der Not beizuste-hen, begann sich nun zu verzinsen. Mit einem weißen Motorrad hätte er sich nirgendwo blicken lassen können, ohne sofort aufzufallen. Auch so würde er Acht geben müssen, damit die Deutschen ihm den treuen Albino nicht unterm Hintern wegrequirier-ten. Und woher er sich mit Treibstoff versorgen sollte, wusste er auch noch nicht.
Die schlechte Nachricht war, dass die Operation »Alarich« mit alemannischer Gründlichkeit verlief. Die Wehrmacht war bis zur Frontlinie Salerno-Benevento-Eboli vorgestoßen; sie kontrollierte also fast den gesamten italienischen »Stiefelschaft« bis südlich von Neapel. Auch in den Castelli Romani hatte sie sich mittlerweile häuslich eingerichtet. Aus den Albaner Bergen konnte sie mit ihrer weit reichenden Artillerie die ganze Gegend bis hinunter zum Meer kontrollieren. Als positiv erwies sich indes der Umstand, dass sie im küstennahen Bereich über keine größeren Truppenkontingente verfügte. In dem alten Garnisonsgebäude an 295
der Piazza Umberto I. gab es jetzt zwar einen Befehlsstand der Deutschen, ansonsten ließen sich jedoch, abgesehen von einzelnen Patrouillen oder kleineren Außenposten, nur wenige deutsche Stahlhelme in Nettunia und Umgebung blicken.
Vor ein paar Tagen war das noch anders gewesen. Am Morgen des 9. September hatten sich kurz nach sieben Uhr die Deutschen durch Kanonendonner in Nettuno angekündigt. Mit einem panzerbrechenden Geschütz rückten sie vor besagtem Garnisonshaus an, um der darin untergebrachten italienischen Artillerieschule Anschauungsunterricht zu erteilen. Jeder, der sich in dem Haus befand, solle mit erhobenen Händen herauskommen, verlangte der deutsche Kommandant. Von drinnen bat Oberst Bruno Tos-cano um eine Galgenfrist, damit wenigstens die Frauen und Kinder abziehen könnten. Kurz darauf schlugen drei Granaten im ersten Stock des Militärgebäudes ein. Die Schüsse waren der Funke, der ein dreitägiges Aufbäumen gegen die Besatzer auslöste.
Von der Piazza Umberto I. ausgehend, getragen von ein paar Halbwüchsigen, die noch nie eine Waffe in der Hand gehabt hatten, breitet sich die Revolte zu den Kasernen des italienischen Militärs und dann über die ganze Stadt aus. Die Deutschen, zunächst nur mit einer kleinen Einheit angerückt, weil man ja Italien von Norden nach Süden in wenigen Tagen aufrollen wollte, zogen sich eingeschüchtert zurück. Aber bald schon kehrten sie wieder, stärker als zuvor. Stukas bombardierten aus der Luft die Viale Mencacci. Am 12. September versprachen die Deutschen den
Widerständlern, sich im Falle ihrer kampflosen Aufgabe sanft wie Schafe zu benehmen, doch nach deren Kapitulation erwiesen sie sich wie reißende Wölfe. Es begannen die Tage der Menschenjag-den, der Deportationen und Genickschüsse.
Nico fühlte
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