Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
die sich ihm verbunden fühlten und einen Groll gegen ihren neuen alten Stadtvorsteher hegten.
    Einige Tage lang beobachtete er wie schon früher einmal das Anwesen seines Gegenspielers. Manzini verließ seinen Palazzo nun stets in Begleitung von zwei Begleitern: Ein dunkelhaariger Mann mit tiefen Geheimratsecken leistete Uberto Dell’Uomo auf dem Beifahrersitz Gesellschaft. Der Fremde war in Nicos Alter. Er gehörte nicht unbedingt zu den Menschen, die einem auf Anhieb sympathisch waren. Wenn er das Stadtoberhaupt vom Auto zum Palazzo Comunale begleitete, dann behielt er stets die rechte Hand in seinem Jackett und beobachtete mit wachsamen Augen die Umgebung. Offenkundig ahnte Massimiliano Manzini, dass es da draußen jemand gab, der ihn im Visier hatte.
    Während Nico von wechselnden Quartieren aus seinen heim-
    lichen Beobachtungen nachging, wurde immer offensichtlicher, wie zielstrebig Hitlers Unterstützer um die Rückkehr zur Macht kämpften. Am 23. September wurde die Repubblica Sociale Itali-ana ausgerufen, von keinem Geringeren als von Benito Mussolini.
    Von Salò am Gardasee aus versuchte er, die Herrschaft in Nord-und Mittelitalien wiederzuerlangen. Aber nur eingefleischte Faschisten glaubten noch an die Souveränität ihres Duce, der Rest wusste, dass er ein Instrument der deutschen Besatzungstruppen geworden war.
    Dem Stadtoberhaupt Nettunias schien deren Gedeihen
    besonders am Herzen zu liegen, wie Nico in zahlreichen Gesprächen herausfand. Ein Lagerarbeiter hatte dies gesehen, ein Lastwagenfahrer das, ein Bäcker berichtete hier- und eine Fisch-verkäuferin darüber. Hinter vorgehaltener Hand beklagte man sich in der Cantina Sociale, wo die Bauern Obst, Gemüse und Wein zum Verkauf abgaben, bitterlich über die Rücksichtslosigkeit des »Gouverneurs« – so wurde Manzini von vielen jetzt genannt. Auf seine Anordnung mussten größere Posten Lebensmittel einbehalten und an die Deutschen ausgeliefert werden, obwohl die Blockade der Alliierten unter der Bevölkerung zu 299
    immer größerer Knappheit führte. Allmählich bestätigte sich was die in seinem Palazzo von Nico erbeuteten Listen schon angedeutet hatten: Der ehrenwerte Don Massimiliano versorgte die Besatzungstruppen mit Proviant, seine Fahrzeuge transportier-ten sogar Beutegut, und seine Leute halfen der SS beim Kampf gegen die Partisanen.
    Zwei Tage nach der Proklamation der »Sozialen Republik
    Italien« entdeckte Nico im Schaufenster einer Trattoria Uberto Dell’Uomo. Es war kurz vor zehn Uhr nachts. Er saß allein an einem viereckigen Tisch und kämpfte mit dem Skelett eines grö-
    ßeren Fischs.
    Eine Weile lang beobachtete Nico den Chauffeur. Er sah irgendwie unzufrieden aus. Lag das an den Gräten oder an den Leibwächtern von der Banda Koch, die ihm offenbar einen Teil seines bisherigen Aufgabengebiets abgenommen hatten? War es zu gewagt, einfach in die Gaststätte zu spazieren und ein wenig mit dem grobschlächtigen Schreck aller Apparate zu plaudern?
    In der Zeit, als Manzini den Kontakt zwischen seiner Tochter und dem Hüter der Lebensuhr eingeschränkt hatte, glaubte Nico in Uberto so etwas wie kameradschaftliche Gefühle geweckt zu haben. Wenn er sich Uberto offenbarte, würde der ihn seinem Herrn beschreiben und ihn jederzeit identifizieren können. Ach was, er musste das Risiko eingehen.
    Entschlossen betrat Nico das Lokal. Ohne auf den fragenden Blick des Wirtes zu achten, ging er geradewegs auf den Chauffeur zu.
    »Guten Abend, Uberto.«
    Der Angesprochene ließ das Rückgrat des Fisches fallen und sah ihn verdutzt an. »Kennen wir uns?«
    Nico musste unweigerlich schmunzeln. Also hat Bruno doch Recht gehabt. Er setzte sich dem Chauffeur gegenüber an den Tisch, faltete die Hände über der Platte und sagte ruhig: »Ich bin’s, Niklas Michel.«
    Ubertos Augen wurden groß. »Jesus Maria! Ich habe dien
    überhaupt nicht erkannt. Heißt du jetzt nicht anders?«
    300
    »Nicht so laut!«, mahnte Nico flüsternd. »Was deine Frage angeht, so lautet die Antwort: Nein. Ich war schon immer Nico dei Rossi, der Sohn des ermordeten Uhrmachermeisters Emanuele.«
    Uberto erschrak. »Wenn Don Massimiliano spitzkriegt, dass du dich hier herumtreibst, wird er seine Kettenhunde auf dich hetzen.«
    »Es liegt in deiner Hand, ihm davon zu erzählen, Uberto.
    Wirst du es tun?«
    Der Chauffeur wich dem durchdringenden Blick seines Ge-
    genübers aus. »Don Massimiliano ernährt mich, seit ich vor fast zwanzig Jahren aus dem Gefängnis gekommen

Weitere Kostenlose Bücher