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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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vertreten. Nico weilte an diesem vielleicht dunkelsten Tag in der Geschichte Italiens ebenfalls in der Ewigen Stadt. So schnell hatte er eigentlich nicht dorthin zurückkehren wollen, weil bis zu Manzinis Überstellung in die Hauptstadt noch einige Tage vergehen sollten. Der Mörder saß in einer Zelle der Questura, eben jenes Polizeipräsidiums, in dem sein Wort bis vor kurzem noch Gesetz gewesen war. Üblicherweise logierten darin nur Gäste, die zu viel Trebbiano di Nettuno getrunken oder sich gegen Anstand und Sitte versündigt hatten. Richtige Ganoven nächtigten dagegen in dem staatlich geführten Etablissement so selten wie ein Staatsoberhaupt in einer Jugendherberge.
    Um sein Versprechen zu halten, hatte Nico dem Beamten, der das Magazin beschlagnahmter Gegenstände verwaltete, einen Einführungskurs in Lebensuhrpflege gegeben. Der Beamte, eine blonde Bohnenstange mit Glasauge, musste unablässig grinsen.
    »Sie tun ja so, als sei das keine Uhr, sondern ein Goldhamster, Signor Mi… Verzeihung, ich wollte sagen, Signor dei Rossi.«
    »Don Massimiliano ist ein zutiefst abergläubischer Mann.
    Wenn Sie vermeiden wollen, dass er einen Tobsuchtsanfall bekommt und dabei sich oder andere ernstlich verletzt, dann ziehen Sie seine Taschenuhr regelmäßig auf. Es kostet Sie wenig Mühe, bringt Ihnen aber eine Menge Frieden.«
    »Einige hier hätten gegen einen kleinen Ausraster ihres alten Podestà wohl nichts einzuwenden. Wäre eine schöne Gelegenheit, ihn endlich mal so richtig durchzuwalken.«
    »Das verstehe ich, aber er hat mehrere Menschenleben auf dem Gewissen. Ich selbst musste einen Mord mit ansehen. Geben Sie dem Schurken die Gelegenheit, sich dem Henker vorzustellen.«
    Der Beamte hatte gegrinst und den Zeugen gehen lassen. Etwa zwei Stunden später war Nico in Rom eingetroffen und sofort 290
    in die Via San Franceso a Ripa gefahren, um Johan und Lea zu warnen.
    »Wir haben es schon aus dem Radio gehört«, sagte der Uhrmachermeister, nachdem sein Geselle in die Wohnung geplatzt war.
    »Ihr müsst sofort untertauchen.«
    »Die Ältesten sagen, wenn die Deutschen hier einfallen und sehen, dass wir uns alle versteckt haben, dann werden wir sie erst recht reizen«, gab Lea zu bedenken. »Sie meinen, die Nationalsozialisten seien zwar eine Plage, aber die jüdische Gemeinde von Rom hat in den zweitausend Jahren ihres Bestehens schon ganz andere Gefahren gemeistert.«
    Nico sah sie voller Schmerz an. »Hast du etwa schon vergessen, wie sie in Österreich gewütet haben? Ihr wisst doch, dass dieser Herbert Kappler bereits seit Jahren hier von der deutschen Botschaft aus zur Treibjagd auf die ausländischen Juden bläst.
    Wenn Italien erst unter Hitlers Kontrolle steht, dann spielt der Pass sowieso keine Rolle mehr.«
    »Er hat Recht. Das sagt übrigens auch Rabbi Zolli«, brummte Johan. Israel Zolli war der Oberrabbiner der jüdischen Gemeinde in Rom. Mit Bezug auf die Andersgläubigen fügte der Uhrmachermeister hinzu: »Die Gojim werden nicht ruhen, bis sie alle Juden erschlagen oder vertrieben haben.«
    Bisher war Nico nur um seine Zieheltern besorgt gewesen,
    aber der Meister hatte keinen Unterschied zwischen italienischen und anderen Juden gemacht. Wohl nicht ohne Grund, machte
    er sich widerstrebend klar. »Dann müssen wir eben alle von der Bildfläche verschwinden. Davide weiß bestimmt einen Rat. Notfalls bitte ich noch einmal Lorenzo um Hilfe.«
    Auf Johans Stirn bildete sich eine steile Falte. »Ist das wirklich nötig? Der Papst war bisher erschreckend still, wenn es um die Verfolgung unserer Brüder und Schwestern ging.«
    »Lorenzo gehört zwar dem Beraterstab von Pius XII. an, aber deshalb heißt er trotzdem nicht alles gut, was sein Oberhaupt so tut, oder besser, was es nicht tut.«
    »Na, meinetwegen.« Johan legte seiner Frau den Arm um die 291
    Schulter. Er sah müder aus denn je. »Zwar sag ich es nicht gerne Lea, aber ich hab mal wieder das Gefühl, dass wir auf verlorenem Posten stehen.«
    Sie küsste ihn auf die Wange. »Ich weiß schon, mein Schatz.
    Wenn du meinst, dass wir uns in eine sichere Stellung zurückzie-hen sollten, dann tun wir es.«
    Zwei Tage später marschierte die Wehrmacht in Rom ein, das sich zur »offenen Stadt« erklärt hatte. Die Schrecken des Bombardements vom 19. Juli waren noch zu frisch, um weitere Tote und Verletzte zu riskieren. Auch die unschätzbaren Kulturgüter – ein Erbe der ganzen Menschheit – wollte man schützen.
    Dank Lorenzos Fürsprache hatten

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