Der Herr der Unruhe
hatte ich auch schon gedacht«, sagte Davide. »Vielleicht kann unser Freund seinen Oberhirten endlich dazu überreden, sein Schweigen zu brechen.«
»Oder uns im Notfall mit ein paar Kilo Gold auszuhelfen.«
Johan stieß ein bitteres Lachen aus. »Pacelli? Ich bitte dich, Junge! Er hält uns für Gottesmörder.«
»Mag sein, aber als im Juli die Bomben fielen, fuhr er ohne Umschweife zu den Ruinen hinaus und beschwor die Mensch-308
lichkeit. Vielleicht können wir doch an sein christliches Gewissen appellieren.«
»Vergiss es, Junge. Er wird uns das Gold nie geben.«
»Lass es mich wenigstens versuchen, Meister Johan. Lorenzo Di Marco erzählte mir mal, dass Pius XII. kein Verhältnis zum Geld hat, obwohl er ein reicher Mann ist. Ob er uns hilft oder uns weiter die kalte Schulter zeigt, hängt wohl nicht von der Höhe des Schutzgeldes, sondern von den richtigen Argumenten ab.«
»Und die willst du ihm liefern?«
»Ich bin nur ein Uhrmachergeselle. Aber Lorenzo hat eine
Stimme beim Papst.«
»Da gibt es nur ein Problem«, mischte sich Salomia ein.
Nico runzelte die Stirn. »Haben wir nicht schon genug davon?
Was meinst du?«
»Lorenzo di Marco sitzt im Vatikan, und den hat gerade ein SS-Kommando umstellt, angeblich zum Schutz des Heiligen Vaters.«
Die Ostgrenze des kleinsten Staates der Welt war auf den ersten Blick unsichtbar. Sie folgte in einem weiten Bogen dem äußeren Rand des Petersplatzes. Nur wenn man den Blick senkte, konnte man auf dem Pflaster eine breite Steinlinie erkennen, die den allgemein zugänglichen Teil der Città del Vaticano markierte. Da wo die steinernen Mauern begannen, endete die Öffentlichkeit. Mit Sondergenehmigungen konnte man zwar ins verborgene Reich
des katholischen Oberhauptes vorstoßen, aber die Angehörigen von Gestapo, SS und Wehrmacht gehörten einer Kategorie von Personen an, deren Gegenwart man hier weniger schätzte. Man war geneigt, es als Geste der stillen Anerkennung dieser wohl gegenseitigen Animosität aufzufassen, dass Hitlers Postenkette mit ihren Maschinenpistolen genau an der Grenze zum Amtssitz des Papstes stand, aber Meister Johan hatte die Maßnahme weitaus nüchterner kommentiert.
»Sie beschützen Pacelli nicht, sondern drohen ihm, damit er das Maul hält.«
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Was auch immer der wahre Beweggrund für die Umstellung
der Vatikanstadt war, sie erschwerte Nico den Besuch bei seinem katholischen Freund. Glücklicherweise war ein jüdischer Junge im Frühjahr 1932 in einige Geheimnisse des Stadtstaates eingeweiht worden, die eine Persona non grata wie Herbert Kappler niemals zu Gesicht bekommen hätte. Dazu gehörte auch die geheime Pforte, durch die Nico sich am Morgen des 27. September Zugang verschaffte.
Hinter der verborgenen Tür wurde er von Schweizergardisten, in Empfang genommen. Er zeigte ihnen ein Dokument mit dem päpstlichen Siegel. Wenig später saß er in einem Sessel des Vatikanpalastes und blickte in Lorenzos sorgenvolles Großejungen-gesicht.
»Ich vermisse deine sprühende Zuversicht«, gestand Nico,
nachdem er seinen Freund begrüßt hatte.
Der Mönch lächelte gequält. »Tempora mutantur, et nos muta-mur in illis!«
»Leider kann ich immer noch kein Latein.«
»Kaiser Lothar I. hat das einmal gesagt. ›Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns mit ihnen!‹«
Nico glaubte zu verstehen, worauf der Benediktiner anspielte.
Nach einem kleinen Schweigen holte er tief Luft und sagte: »Ich brauche deinen Rat. Habe ich dich bei etwas Wichtigem ge-stört?«
»Ach, na ja, ich recherchiere gerade in der Bibliotheca Palatina für einen Freund in einer dringenden … Aber das hat Zeit. Was führt dich zu mir, Nico?«
Der Gefragte fasste die jüngsten Ereignisse zusammen und
schilderte dann seine Überlegungen zu einem Rettungsplan im Fünfzig-Kilo-Gold-Debakel. »Hast du eine Idee, wie man meinen Leuten helfen könnte?«, schloss er seinen Monolog.
Lorenzo wiegte den Kopf hin und her. »Glaube mir, ich habe schon so oft mit dem Papst über die Gräuel gesprochen, die man deinem Volk antut.«
»Tatsächlich?«
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»Ja. Bisher wollte ich dich mit diesen Dingen nicht belasten, weil die Juden hier besser als anderswo in die Bevölkerung inte-griert sind. Ich hoffte, es würde nicht zum Schlimmsten kommen, so wie …« Das Haupt des Benediktiners sank herab, als sei er unfähig, es länger auf den Schultern zu halten.
»Wie …?«, fasste Nico nach.
Der Mönch hob langsam den Blick. In seinen Augen spiegelte sich ein
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