Der Herr der Unruhe
versprechende Signale ausgesandt. Er könnte ein zweiter Zeuge werden, wenn es je zu einem Prozess gegen den Mörder von Emanuele dei Rossi kommen sollte. Die bisher aus dem Palazzo erbeuteten Schriftstücke ließen eine Seite Manzinis erkennen, die ihm Nico früher nicht zugetraut hätte. Der Ganove hatte seine Listen mit buchhal-terischer Gründlichkeit geführt. Er hatte es nicht einmal übers Herz gebracht, das Auftragsbuch seines Mörders zu vernichten.
Möglicherweise bewahrte er auch noch weitere Beweise in seinem Anwesen auf. Deshalb – und wegen der Uhr seines Vaters – wollte Nico den Safe noch ein zweites Mal plündern.
Gerne hätte er sich in der Angelegenheit mit Bruno beraten.
Am Morgen nach der Unterhaltung in der Trattoria schwang sich Nico in Albinos Sattel und fuhr, ständig auf der Hut vor Militärpatrouillen, durch die Pontinischen Sümpfe. Dabei machte er eine überraschende Entdeckung. Die Deutschen hatten die Pumpen gestohlen. Das von den Kriegsveteranen mit so viel Schweiß trockengelegte Land verwandelte sich stündlich in seinen morastigen Urzustand zurück. Obwohl er mit vielen
Leuten sprach, die er noch von seiner Hilfsaktion im Frühjahr 1940 kannte, konnte oder wollte ihm niemand sagen, wo sich 306
die Partisanen versteckt hielten. Einige Männer und Frauen, darunter auch die Witwe eines im Spanischen Bürgerkrieg gefallenen Soldaten in Pontinia, zeigten sich zumindest insofern entgegenkommend, als sie den Kämpfern eine Botschaft übermitteln wollten.
»Sagen Sie Bruno Sacchi, dass der Späher vom Forte Sangallo ihn sprechen möchte«, bat Nico sie.
»Und wie kann er Sie finden?«, lautete gewöhnlich die Antwort.
»Da wo der Späher sonntags um sechs gewöhnlich nie hin-
geht.«
Am späten Nachmittag brach Nico nach Rom auf, weil er
Davide und Johan um Rat fragen wollte. Ein Bauer aus Aprilia, dessen Felder jetzt überschwemmt waren, hatte ihm mit Benzin ausgeholfen. Auf Schleichwegen umfuhr er die deutschen Posten und erreichte nach Sonnenuntergang unbehelligt die Ewige Stadt.
In der Wohnung des Goldschmieds im Viertel Sant’Angelo erlebte er eine Überraschung.
»Johan, Lea, ihr seid hier?« Die ernsten Gesichter der beiden ließen ihn Schlimmes ahnen.
»Setz dich erst einmal und trink einen Schluck«, sagte Davide und gab Salomia einen Wink. Sie verschwand in die Küche und kehrte wenig später mit einem Glas Kräutertee zurück.
Nico nahm derweil am Esstisch Platz und fragte nach dem
Grund der gedrückten Stimmung. Die Antwort kam von Johan.
»Der neue Polizeichef von Rom hat den Juden pünktlich zum Jahresabschluss ein Ultimatum gestellt.«
»Polizei? Ich denke, die Wehrmacht kümmert sich jetzt um
die öffentliche Ordnung.«
»Der Mann ist von der SS. Du kennst seinen Namen. Es ist
Obersturmbannführer Herbert Kappler.«
Nico war froh, sich hingesetzt zu haben. »Dann ist es tatsächlich ernst. Worum geht es in dem Ultimatum?«
Davide fühlte sich berufen, darauf zu antworten. »Um Gold.
Kappler verlangt innerhalb von sechsunddreißig Stunden fünfzig 307
Kilogramm davon. Wenn wir das Schutzgeld bis zum 29. September nicht zusammenbekommen, sollen wir ihm die Namen von
dreihundert Geiseln nennen.«
»Fünfzig Kilo? Das klingt viel.«
»Das hat Rabbi Zolli auch im ersten Moment gesagt. Er bat mich darum, ihm bei der Sammlung zu helfen. Ich habe versucht ihm Mut zu machen. Eigentlich ist die Forderung der Deutschen recht moderat. Nach den letzten mir bekannten Zahlen der in-ternationalen Goldbörse entspricht das Lösegeld ungefähr einem Betrag von sechsundfünfzigtausend Dollar, also gut viereinhalb Dollar pro Nase.«
»Dann werdet ihr das Gold auftreiben?«
Davide spreizte die Finger. »Du kannst dir vorstellen, was für eine Aufregung im Viertel herrscht. Inzwischen bin ich nicht mehr ganz so zuversichtlich. Rabbi Zolli hat sich den Deutschen als Geisel angeboten, aber Kappler will keine Seelen, sondern Edelmetall.«
»Ehrlich gesagt fürchte ich, dass die Deutschen sich damit nicht zufrieden geben werden. Ich weiß von Karl Hass – er gehört zu Kapplers Stab –, dass sie schon seit Jahren alles daran setzen, unser habhaft zu werden. Wir sollten auf alle Fälle einen Notplan parat haben.«
»Woran denkst du?«, fragte Lea.
»Zunächst daran, dass ihr beide so schnell wie möglich in euer Versteck zurückkehren müsst. Auch Davide und Salomia sollten untertauchen. Ich werde morgen früh zu Lorenzo gehen und ihn um Hilfe bitten.«
»Daran
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