Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
der Vatikanstadt nicht als der auftreten, der er wirklich ist, aber da habe ich schon eine Idee.«
    »Ich hoffe nur, der Rabbi spielt mit.«
    »Es muss klappen, Nico. Sprich du mit Professor Zolli, ich werde den Heiligen Vater ein wenig … präparieren, damit er ihn empfängt.«

    Israel Zolli war Anfang sechzig. Er stammte aus Brody in Galizien und hatte einen Lehrstuhl an der Universität von Padua inne-gehabt. Er sprach nicht allein Polnisch, Hebräisch, Italienisch, sondern auch genug Deutsch, um Mein Kampf im Original zu lesen. Ob aus Hitlers ideologischem Offenbarungseid oder anderen Schriften der Nationalsozialisten, er hatte sich ein Bild von der Gefährlichkeit des braunen Gedankenguts gemacht und war in der jüdischen Gemeinde von Rom seit langem ein Rufer in der Wüste – die anderen Ältesten hielten seine Warnungen für über-zogen, ja, sogar gefährlich.
    Nach dem so hoffnungsvoll verlaufenen Gespräch mit Lo-
    renzo kostete es Nico keine große Mühe, bis zur Türschwelle 313
    des Oberrabbiners zu gelangen – Meister Davide begleitete ihn dorthin.
    Zolli stand unter enormem Zeitdruck. Die Sammelaktion
    verlief eher schleppend. Er hatte sich ganz oben auf die Liste der dreihundert Namen gesetzt, die der SS im Falle eines Scheiterns als Geiseln ausgeliefert werden sollten. Erst wollte er den Uhrmachergesellen nicht einmal empfangen, aber dann sagte Nico etwas das ihn hellhörig werden ließ.
    »Ich habe in Wien zweimal dem braunen Pöbel getrotzt.
    Glauben Sie mir, Professor Zolli, in der so genannten ›Reichskristallnacht‹ konnte ich an eigener Haut erfahren, was die Nationalsozialisten …«
    »Sie kommen aus Wien?«, unterbrach der Oberrabbiner den
    jungen Mann. »Das ist ein seltsamer Zufall. Ich habe in Wien studiert. Was halten Sie von Kapplers Erpressungsversuch, Signor dei Rossi?«
    »Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass er uns in Sammellager internieren lassen will. Wenn Sie mich fragen, wird er das auf jeden Fall tun. Aber vielleicht können wir eine Galgenfrist herausschinden, wenn wir das Gold zusammenbringen. Ich habe eine Idee, wie wir das schaffen könnten. Wir brauchen die Zeit, um Verstecke zu finden.«
    Zolli öffnete weit seine Wohnungstür. »Leider ist die meine knapp bemessen, lieber junger Freund, aber kommen Sie bitte trotzdem herein. Wie hatten Sie sich das mit dem Gold vorgestellt?«
    Über die hervorragenden Kontakte eines einfachen jüdischen Uhrmachergesellen zum Vatikan war der Oberrabbiner zunächst erstaunt. Bald verwandelte sich seine Überraschung jedoch in Zuversicht, und als am 29. September – dem letzten Tag des Ultimatums – feststand, dass die Juden aus eigener Kraft nur fünfunddreißig Kilogramm Gold zusammenbringen konnten, hinderte
    ihn nichts mehr daran, Pius XII. um Hilfe zu bitten. Früh am Morgen ließ er sich von Doktor Fiorentino an den SS-Posten vorbei zur geheimen Pforte fahren, und kurze Zeit später berichtete er 314
    Davide, Nico und führenden Vertretern der jüdischen Gemeinde über den Besuch im Vatikan.
    »Alles lief sehr konspirativ ab. Nicht einmal die Schweizergardisten waren informiert. Der Doktor sagte ihnen, ich sei ein Ingenieur, der einige Wände prüfen sollte, die gerade im Vatikan hochgezogen werden. Ihr werdet es nicht glauben, aber ich musste mir tatsächlich Pläne ansehen und so tun, als verstünde ich sie. Zum Glück erschien bald Kardinal Maglione. Ich sagte ihm: ›Das Neue Testament darf das Alte nicht im Stich lassen.
    Bitte helfen Sie mir. Um den Betrag zurückzuzahlen, biete ich mich selbst als Garantie an, und weil ich arm bin, werden die Juden der ganzen Welt helfen, die Schuld zurückzuzahlen.‹ Seine Exzellenz war sichtlich berührt und ging sofort zu Pacelli, dem Papst. Wenig später kehrte er zurück und teilte mir mit, dass ich um ein Uhr mittags wiederkommen solle. ›Sie werden die Büros leer antreffen‹, meinte er, ›aber zwei oder drei Angehörige meines Stabes werden Sie erwarten und Ihnen ein Paket aushändigen. Es wird keine Probleme geben.‹«
    Als Zolli am selben Tag zum zweiten Mal im Vatikanpalast
    vorstellig wurde, ließ ihm das Oberhaupt der katholischen Kirche Unglaubliches mitteilen.
    »Wir haben uns ermutigt gefühlt von der tapferen Haltung
    vieler Italiener, die Ihren Glaubensbrüdern in diesen Notzeiten Beistand leisten, und ließen einen Rundruf an unsere Pfarreien ergehen. Mit überwältigendem Erfolg, darf ich wohl sagen. Das Alte Testament wird vom Neuen nicht im Stich

Weitere Kostenlose Bücher