Der Herr der Unruhe
Heimat ist die
Giustizia e Libertà. Hättest du nicht Lust mitzumachen?«
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»›Gerechtigkeit und Freiheit‹?«, murmelte Nico. »Ist das eine oppositionelle Bewegung?«
»Man merkt, dass du lange von zu Hause weg warst, amico mio. Ja, es ist eine Bewegung, die Mussolinis Faschistenpack am liebsten mit Stumpf und Stiel ausrotten würde. Und deshalb sollten wir das auch besser nicht bei offenem Fenster besprechen.«
»Da gibt es nichts zu besprechen, Bruno. Ich lasse mich von nichts und niemandem vereinnahmen. Ich bin zwar den Papieren nach ein arisches Waisenkind, aber ich war weder im Deutschen Jungvolk noch in der Hitlerjugend. Ebenso wenig werde ich mich jetzt deiner Freiheitsbewegung anschließen.«
»Das ist ja wohl ein Unterschied.«
»Mag sein. Ich gehe lieber meinen eigenen Weg.«
»Wenn du mir den jetzt als Pfad der Tugendhaftigkeit verkaufen willst, dann schreie ich.«
Nico deutete mit der Hand aus dem Fenster. »Tu dir keinen Zwang an.«
»Du bist immer noch so ein sturer Knochen wie früher. Was spielst du für ein Spiel? Warum führst du dieses alberne Theater auf? Niklas Michel! Ich habe dich am Bahnhof sofort erkannt.
Donna Laura magst du mit dem Namen täuschen, aber nicht
mich. Nicht deinen besten Freund.«
»Aber ich bin Niklas Michel. Ich kann dir meine Papiere zeigen.«
»O ja! Das kannst du bestimmt.« Bruno nickte lächelnd. »Es ist wegen Manzini, stimmt’s? Nachdem du untergetaucht warst, glaubten die Leute in der Stadt, der Mörder hätte dich ebenfalls umgebracht. Inzwischen rechnet wohl selbst Don Massimiliano nicht mehr damit, dass du wieder aufkreuzen könntest. Du bist doch gekommen, um an ihm Rache zu nehmen, oder?«
»Willst du ein Stück Apfel?«
»Herrje! Du bringst mich noch zur Weißglut.«
Nico steckte sich den verschmähten Schnitz in den Mund,
kaute eine Weile darauf herum, blickte versonnen aufs glitzernde 66
Meer hinaus und sagte schließlich sehr ruhig: »Ich habe sechseinhalb Jahre auf meine Rückkehr nach Nettuno gewartet, Bruno, und werde jetzt nichts überstürzen. Mächtige Feinde besiegt man am besten durch Geduld. ›Zur bestimmten Zeit wird ihr Fuß wanken‹, versprach mir ein weiser Mann, dem ich wohl mein Leben verdanke. Darauf vertraue ich.«
»Hör mir zu, Nico. Ich weiß nicht, ob du dir im Klaren dar-
über bist, was sich seit deiner Flucht hier alles verändert hat. Und dabei meine ich nicht den Bahnhof, den sie vom Meer wegverlegt haben, oder die letztes Jahr leer geräumte Piazza Umberto I. oder die neu gebauten Straßen. Du erinnerst dich doch noch, wie wir beiden von den Zinnen des Forte Sangallo aus nach dem legendä-
ren Neptunia Ausschau gehalten haben. In ein paar Monaten wird es wieder auftauchen, dank unseres großen Duce, des weisen, herrlichen und grenzenlos machtgierigen Benito Mussolini: Anzio und Nettuno werden unter gemeinsamem Namen eine Zwillingsstadt bilden.« Brunos Stimme hatte plötzlich etwas Verbissenes. »Aber darum geht’s nicht. Als ich von Veränderungen sprach, dachte ich an jemand anderen, der sich in Nettuno genauso zum Diktator aufspielt wie unser Volksschullehrer Benito im Land. Ich rede von Massimiliano Manzini.«
»Wie meinst du das?«
»Ein paar Wochen, nachdem dein Vater ermordet worden war, stieg Don Massimiliano zum podestà von Nettuno auf. In ziemlich genau einem Jahr soll er sogar der Vorsteher beider zusammenge-schlossener Gemeinden werden.«
»Manzini wird Anzio und Nettuno regieren?«
»Nettunia. Am besten, du merkst dir diesen Namen, Nico. Die wiederauferstandene mythische Stadt wird vom 17. November 1939 an Nettunia heißen. Ich wette, die Symbolik gefällt unserem ehrenwerten Don Massimiliano. Zum Jahreswechsel will er unsere ›Wiedervereinigung‹ schon mal proben, indem er vor dem Kommunalpalast ein rauschendes Fest veranstaltet – sozusagen zum sanften Hineingleiten ins neue Großstadtbewusstsein. Verrückt, was?«
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»Ob das funktionieren wird …?«
»Don Massimiliano spielt sich gerne als Kapitän auf, der
den Kurs bestimmt. Was die Leute an den Ruderbänken sagen, interessiert ihn nicht. Er ist mächtiger denn je, Nico. Du wirst Unterstützung brauchen, wenn du gegen ihn vorgehen willst.
Jemanden mit Beziehungen, einen, der erlebt hat, wie es ist, wenn man von den Faschisten Stück für Stück seiner Freiheiten beraubt wird.«
»Meinst du, den Menschen in Österreich oder Deutschland
ist es besser ergangen als den Landsleuten hier? Was ich in Wien erlebt habe, ist
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