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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Situationen dieser Art erlebt und erwartete die übliche Reaktion: ein Lachen, vielleicht auch ein Kopfschütteln. Stattdessen sah er sich unvermittelt einem fast körperlich spürbaren Blick ausgesetzt, einer Tiefenbohrung in seine Seele. Schließlich sagte Lorenzo leise: »Du hast Recht, mein Lieber, wir gehen manchmal zu achtlos mit den Dingen um, die unser Leben angenehmer machen.« Er deutete die Treppe hinauf.
    »Dein Zimmer ist im Stockwerk über uns.«
    Sie stiegen ausgetretene Steinstufen empor und betraten eine schlichte Kammer. Decke und Wände waren weiß getüncht, der Boden mit verzogenen Dielen bedeckt, ein kleines Fenster ge-währte Ausblick in den Park. Die Einrichtung bestand aus einem Bett, einem Stuhl, einem Tisch, einem Haken an der Wand und einem Kruzifix. Der Mönch bemerkte den auf Letzterem liegenden Blick seines Schützlings und erriet dessen Gedanken.
    »Wenn du möchtest, kannst du es abnehmen.«
    Nico riss sich von dem Kreuz los und wandte sich wieder dem Mönch zu. »Stimmt das wirklich, was du draußen gesagt hast?«
    »Dass ich dem Heiligen Vater diene?« Lorenzo nickte. »Ja, das stimmt. Aber nimm doch Platz. Du bist bestimmt müde. Ich werde gleich dafür sorgen, dass du ein Nachtmahl bekommst.«
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    Der Junge ließ sich auf der Bettkante nieder. »Warum hilfst du nur, Lorenzo?«
    Wieder schmunzelte der Mönch. Jedes Mal, wenn er das tat, sah man tiefe sichelförmige Falten um seine Mundwinkel. »Das hört sich fast so an, als würdest du einen Henker fragen, wieso er dich vom Galgen geschnitten hat.«
    Nico schluckte. Der Mann schien Gedanken lesen zu können.
    »Es gibt viele Gründe, warum ich meine Ohren vor Davides
    Hilferuf nicht verschließen kann. Einige habe ich dir bereits auf der Piazza Navona genannt.«
    »Woher kennst du Davide Ticiani?«
    »Ich hatte ihm eine kostbare Uhr des Heiligen Vaters zur Restaurierung anvertraut.«
    »Einem Juden ?«
    »Einem hervorragenden Goldschmied und Uhrmachermeister
    mit einem einwandfreien Ruf.«
    »Kannst du nicht Schwierigkeiten bekommen, wenn man
    mich hier findet?«
    »Mach dir keine Sorgen darum. Abgesehen davon sollten wir uns beide überlegen, ob wir dir nicht eine neue Identität verschaffen.«
    »Eine …?«
    Lorenzo nickte. »Einen anderen Namen. Falls die Staatsan-
    waltschaft deine Zeugenaussage in irgendeiner Schublade verschwinden lässt und diesen Manzini nicht hinter Schloss und Riegel bringt, dann muss Nico dei Rossi aufhören zu existieren, so als hätte es ihn nie gegeben.«
    »Aber wie soll das gehen?«
    »Ich beschaffe dir neue Papiere.«
    »Gefälschte …?«
    Lorenzo lachte. »Schau nicht so schockiert. Seit dem Mittelalter hat die heilige Mutter Kirche große Erfahrung im Fälschen gesammelt. Außerdem ist der Vatikan mit Unterzeichnung der Lateranverträge vor drei Jahren wieder ein souveräner Staat geworden und kann alle möglichen Dokumente und Urkunden
    anfertigen, die nicht nur offiziell aussehen, sondern es auch sind.
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    Wenn du dir einen neuen Namen aussuchen könntest, welchen würdest du wählen?«
    Nico war viel zu konsterniert, um darauf zu antworten. Nicht nur die überraschende Freimütigkeit des Ordensmannes irritierte ihn, sondern noch viel mehr die zunehmende Rasanz, mit der sich sein Leben änderte.
    »Dein Name erinnert mich an den Pharisäer Nikodemus aus
    dem Johannesevangelium, der sich nach Jesu Tod zu dessen Jün-gerschaft bekannte. Das griechische Wort nike steht für ›Sieg‹ und demos bedeutet ›Volk‹. Wir könnten uns einer List bedienen. Was hältst du davon?«
    Dem Jungen waren die Gedankengänge des offenbar ziemlich
    gebildeten Benediktiners zu hoch. Achselzuckend ergab er sich in sein Schicksal.
    »Wie wäre es mit ›Nikolaus‹?«, schlug daher der Mönch
    geradezu ausgelassen vor. »Das griechische laós steht nämlich auch für ›Volk‹, besser gesagt für ›Kriegsvolk‹ – du behältst den gleichen Namen, obwohl es nicht derselbe ist. So wird aus einem Juden im Handumdrehn ein Christ.«
    »Willst du dich über mich lustig machen?«
    Schlagartig wurde Lorenzo wieder ernst. »Nein, Nico. Das
    liegt mir fern. Gott lässt jedem seinen freien Willen; andernfalls wäre der Sündenfall unmöglich gewesen. Wer seinem Nächsten vorschreibt, was er zu glauben hat, vergewaltigt nicht nur dessen Freiheit, sondern auch die eigene. Hier geht es, wie gesagt, um eine List, mein Lieber. In deinem Herzen sollst du der bleiben, der du sein möchtest, aber da, wo Davide dich

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