Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
sagte Laura leise.
    »Du meinst den See? Heißt er nicht anders?«
    »Lago di Nemi, das ist sein heutiger Name. Früher lag dort unten ein Tempel zu Ehren der Göttin der Jagd.« Sie deutete auf die Stelle am Nordufer des Sees. Danach wanderte ihr Arm nach links. »Und da hatte Julius Cäsar eine Villa. Angeblich soll er nur eine einzige Nacht darin geschlafen haben.«
    Nico schnaubte. »Ziemliche Verschwendung!«
    »Wie kannst du das sagen, wenn du noch nie eine Nacht am
    Spiegel der Diana verbracht hast?«
    Er sah sie forschend an. Tief in ihren dunklen Augen funkelte ein Feuer, das ihn in Brand zu stecken drohte. Sacht löste er seine Hand aus der ihren und fragte: »Warum hast du mich hierher ge-führt, Laura?«
    Sie lächelte, jetzt wieder ganz das unbekümmerte Mädchen.
    »Weil ich dir einen guten Freund vorstellen möchte.«
    220
    »Oh?«
    »Ja, ich habe dir vorher nichts davon gesagt. Es sollte eine Überraschung sein. Komm!« Sie hakte sich bei ihm ein und zog ihn, weil er nicht gleich reagierte, wie einen störrischen Esel von der Mauer weg.
    »Santa Maria della Cima ist die kleinste Kirche hier oben.«
    »Hört sich verlockend an.«
    »Du!« Sie piekte ihn in die Rippen. »Ich führe dich nicht zu einem Schäferstündchen.«
    »Auf den Gedanken wäre ich nie gekommen.«
    »Du bist frech heute, weißt du das? – Der Priester der Gemeinde ist Padre Giacomo Lo Bello.«
    »Wird ja immer interessanter.«
    »Er hat mich getauft.«
    »Was du nicht sagst!« Diesmal war Nicos Überraschung echt.
    »Wieso ist er hier und nicht in Nettuno?«
    »Er war schon alt, als ich geboren wurde. Jedenfalls habe ich ihn schon immer so in Erinnerung. Du wirst schon merken, dass er kein gewöhnlicher Priester ist. Äußerlich mag er dir zwar unscheinbar vorkommen, aber sein Herz ist riesig – und sein Mundwerk ebenso. Damit hat er sich in der Diözese einigen Ärger eingehandelt.«
    »Wie meinst du das?«
    »Er hat Dinge gesagt, die mit der offiziellen Lehrmeinung der Kirche nicht unbedingt konform gingen. Nichts wirklich Ketzeri-sches. Ich würde es eher unkonventionell nennen, aber er hat sich dadurch den Zorn der Dogmatiker in der Kurie zugezogen. Oder vielleicht trifft es die Bezeichnung ›biblisch-urchristlich‹ noch genauer, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Die heilige Mutter Kirche fürchtete, an ihrer Brust einen kleinen Martin Luther zu säugen? Ist es das, was du sagen wolltest?«
    »Der Bursche gefällt mir«, sagte unvermittelt eine heisere Stimme in etwas holperigem, jedoch klar verständlichem Deutsch, das eindeutig nicht aus Lauras Mund kam. Überrascht wandte sich Nico einem Mann in schwarzem Talar zu.
    221
    »Padre Giacomo!«, quietschte das Mädchen und stürzte auf
    den kleinen, rundlichen Priester zu, der an der Pforte seines Pfarrhauses stand. Als es ihn umarmte, überragte es ihn um mindestens einen Kopf. Sein Haupt war unbedeckt – in jeder Hinsicht.
    Wieder spürte Nico jenen Neid, der ihn jedes Mal überkam, wenn Laura andere so sehr viel ungestümer willkommen hieß als ihn.
    »Und der junge Bursche mit dem respektlosen Mundwerk
    ist dann wohl dein Freund, den du mir am Telefon angekündigt hast?«, fragte der Priester. Er besaß lebhafte dunkelblaue Augen und erstaunlich lange Ohrläppchen, die bei jeder Bewegung des kahlen Kopfes wie extravagante Schmuckstücke schlenkerten.
    »Ja. Er heißt Niklas Michel«, antwortete Laura stolz.
    Nico näherte sich schüchtern der ihm entgegengestreckten
    Hand. Die Überraschung war Laura wirklich gelungen. »Woher kommt es, dass Sie so gut Deutsch sprechen?«, fragte er den Priester nach der Begrüßung.
    »Gut? Ich habe es in einem Seminar in Prag gelernt, aber man hört wohl, dass es lange her ist.«
    »Nein, Ihre Wortwahl ist immer noch makellos, nur die Aussprache …« Er biss sich auf die Unterlippe.
    Padre Giacomo lachte abermals. »Sie gefallen mir, Herr Michel! Sagen Sie immer, was Ihnen im Kopf rumgeht?«
    »Na ja …« Nico wusste im Augenblick nicht einmal, was er
    denken sollte.
    »Zeigen Sie uns die Höhlen?«, bettelte Laura. Dabei wippte sie in den Knien ungeduldig auf und ab.
    Der Priester grinste. »Das habe ich dir ja wohl versprochen.«
    »Höhlen?«, fragte Nico verwundert.
    »Haben Sie schon unsere Blumenbilder gesehen?«, erkundigte sich der Geistliche.
    »Ja, sie sind wirklich schön.«
    »Und?«
    »Was und?«
    »Sie haben sich nicht gefragt, wie all diese Millionen Blüten an einem heißen Tag Ende Mai noch frisch sein

Weitere Kostenlose Bücher