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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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tatsächlich in einem Schweizer Sanatorium zugebracht, weil ihr Geist an einer Krankheit litt?
    Sie war nicht mehr dieselbe, das bemerkte Nico schon nach kurzer Zeit. Donna Genovefa wirkte durchaus wie ein Geist, wenn er ihr manchmal auf der Galerie im duftigen Negligee begegnete.
    Früher hätte sie vielleicht versucht, ihn zu verführen – sie war 227
    immer noch schön –, aber nun schritt sie mit wallendem Haus-kleid lautlos an ihm vorüber und beachtete ihn kaum. Auch von anderen Bewohnern des Palazzo nahm sie wenig Notiz. Sie schien in ihrer eigenen Welt zu leben.
    Dann kam der 10. Juni 1940. Mussolinis Selbstbeherrschung war am Ende. Auch Italien sollte ein paar Stücke vom großen Ku-chen abbekommen, den Deutschland angeschnitten hatte. Also erklärte er Frankreich und Großbritannien den Krieg. Hatte Manzini schon vorher davon gewusst und deshalb seine Ehefrau aus der Schweiz zurückgeholt?
    Fünf Tage später verfügte die faschistische Regierung die Verhaftung aller jüdischen Männer, die staatenlos beziehungsweise deutscher, polnischer oder tschechischer Nationalität waren. Am darauf folgenden Montag verschwand aus Nettunia die sechs-köpfige Familie Katz, die aus dem litauischen Memel stammte.
    Nico sprach mit Nachbarn, die seine Befürchtungen bestätigten.
    Kurz vor Tagesanbruch habe ein Lastwagen vor dem Haus gehalten, in dem die Juden wohnten, und sei wenige Minuten später mit ihnen fortgefahren. Niemand wisse wohin. Es kostete Nico keine große Mühe herauszufinden, dass die Gemeinde das Eigentum der Emigrantenfamilie sofort beschlagnahmt hatte – auf persönliche Anordnung von Massimiliano Manzini.
    Noch hielten sich derartige Vorkommnisse in Grenzen, nichts im Vergleich zu dem, was Nico in Wien erlebt hatte, aber würde es so bleiben? Er musste endlich Licht in die Machenschaften des Podestà bringen. Das war er nicht allein seinem ermordeten Vater schuldig, sondern auch jenen Menschen, die man womöglich als Nächstes wie schwarze Katzen in Säcke stecken und davonkarren würden. Aber wie sollte er das tun?
    Der offizielle Weg schied aus, so viel hatten die Morde vor acht Jahren gezeigt. Niemand würde einer Anzeige nachgehen, die Massimiliano Manzini des Mordes und der Veruntreuung
    bezichtigte, schon gar nicht, wenn sie auf den vagen Vorwürfen eines kleinen Gemeindemechanikers beruhte. Und dann gab es da noch die zweite Möglichkeit.
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    Nico hatte das Auftragsbuch seines Vaters in Manzinis Tresor gesehen. Er konnte sich nicht erklären, warum dieses Beweisstück überhaupt noch existierte. Vielleicht hatte es mit der Lebensuhr und Don Massimilianos krankhaftem Aberglauben zu
    tun. Zumindest war die Kladde ein handfestes Indiz. Emanuele dei Rossi hatte die Angewohnheit, jeden Abholungstermin für eine Kundenuhr in seinem Buch zu notieren. Auch der Besuch des Mörders musste darin vorgemerkt sein. Mit diesen Aufzeichnungen konnte ein gesetzestreuer Staatsanwalt Ermittlungen gegen Manzini einleiten und bestimmt auch seine Verhaftung erwirken, wenn nicht sofort, so doch irgendwann. Zunächst musste sich Nico jedoch das Corpus delicti verschaffen.
    Gewiss, da gab es das achte Gebot: Du sollst nicht stehlen!
    Das ließ wenig Spielraum offen. Für seinen Vater und auch für Meister Johan gehörte es auch zum Verhaltenskodex eines jeden Uhrmachers. Wer im Kundenauftrag mit Gold und anderen edlen Werkstoffen hantierte, dessen Ehrlichkeit musste über alle Zweifel erhaben sein. Aber was er beabsichtigte, sah ja nur aus wie ein Diebstahl. Er war der legitime Erbe des gesamten Dei-Rossi-Besitzes. Nur die Art und Weise, wie er sich sein Recht erkämpfen musste, war vielleicht nicht ganz koscher …

    Der Telefonanruf am Mittwochmorgen versetzte Don Massimi-
    liano einen Schock. Niklas Michels Stimme am anderen Ende der Leitung klang erschöpft. Der Podestà von Pontinia habe sich seiner entsonnen und ihn gestern dringend um Unterstützung ersucht. Er sei immer noch vor Ort. Merkwürdige Sache. Mehrere Pumpen hätten sich festgefressen. Einer der Hauptkanäle laufe bereits über. Für Pontinia drohe eine Überschwemmungska-tastrophe. Erst habe er, Niklas, nein sagen wollen – wegen der morgendlichen Prozedur mit der Lebensuhr –, aber dann habe er sich des Gespräches vor einiger Zeit entsonnen, in dem Don Massimiliano seinem großen Interesse an einem guten Ruf Ausdruck verliehen hatte. Da habe er einfach spontan Hilfe versprechen müssen. Nun könne er leider nicht um acht Uhr im Palazzo

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