Der Herr der Unruhe
sagte der alte Giacomo vergnüglich, wurde aber sogleich väterlich streng, als er das Wort wieder an Laura richtete. »Meine Tochter, höre auf deinen Niklas. Eure Ehe würde auf einem sehr morschen Fundament stehen, wenn
du deinen Vater brüskierst. Sprich mit ihm. Momentan brauchst du zur Heirat sowieso noch seine Zustimmung. Der junge
Mann da an deiner Seite scheint Rückgrat, ein gutes Herz und auch Verstand zu besitzen, was heutzutage eher die Ausnahme als die Regel ist. Gesteh deinem Vater die Liebe zu Niklas. Sag ihm, nur er könne dich glücklich machen. Dann wird der sture Bock … Verzeihung, dann wird Don Massimiliano nicht nein
sagen.«
»Und Sie, Padre?«
»Euch beide zu trauen wäre mir ein Feuerwerk am Ende mei-
nes oft so bewölkten Lebens.«
Die Prozession bewegte sich wie ein bunter Lindwurm durch die Gassen von Genzano di Roma. An dessen Kopfende trugen vier Männer einen Baldachin mit goldener Fransenborte, unter dem 225
die wichtigsten geistlichen Würdenträger der Stadt dahinschritten. Padre Giacomo Lo Bello gehörte nicht dazu.
Nico kam sich vor wie eine Schuppe, die am Schwanzende des Drachen festhing, obwohl sie lieber irgendwo anders gewesen wäre. Lauras zweite Überraschung war mehr als nur gelungen. Sie lastete auf seiner Brust wie ein schwerer Stein.
Der Festzug strebte einer Plattform entgegen, von der die heilige Messe verlesen werden sollte. Es war praktisch unmöglich, das Motorrad zu erreichen; am Kopf der Riesenschlange kam niemand vorbei, dafür sorgten schon die Polizisten. Schließlich gelang es Nico aber doch, von dem Ungetüm abzuspringen. Er zog Laura in eine Seitengasse. Dann endlich entlud sich sein ganzer Unmut.
»Warum hast du mich nicht vorher gefragt?«
Sie hatte seine Stimmung längst gespürt und wirkte dementsprechend verstört. »Willst du mich denn nicht?«
»Darum geht es nicht, Laura.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Doch, Niklas. Ganz allein darauf kommt es an.«
»Du hast ja keine Ahnung!«
» Wovon, Niklas? Natürlich fühle ich, dass es da etwas zwischen uns gibt. Aber wir können doch über alles sprechen …
Oder etwa nicht?«
Nicos Herz drohte zu zerspringen. Sein Hals war wie zu-
geschnürt. Am liebsten hätte er ihr das Weinen abgenommen und sich von ihr trösten lassen. Es tat so weh, ihr wehzutun. Er musste ihr die Wahrheit sagen.
Aber er konnte es nicht.
Verzweifelt schüttelte er den Kopf. »Eher fließt das Wasser den Berg hinauf, als dass du mich heiraten würdest.«
Sie riss sich von seiner Hand los. »Fängt das jetzt wieder an?
Bruno muss dich hypnotisiert haben, sonst würdest du seinen dämlichen Spruch nicht pausenlos herunterleiern. Was immer uns entzweien mag, wir können es aus der Welt schaffen.«
Nico ließ den Kopf hängen. Er wünschte es sich so sehr, aber 226
er wusste auch, wie Laura reagieren würde, wenn er ihren Vater einen Mörder nannte. Erschöpft fragte er: »Weißt du, was Mauschelbete ist?«
»Was …? Nein, keine Ahnung.«
»Das Wort ist jiddisch. Diese jüdischen Begriffe aus dem Osten hörst du in Wien tagtäglich. Mauschelbete ist ein Kartenspiel.«
»Ja, und?«
»Es gibt dabei eine Hauptregel: Derjenige, der beim Schummeln erwischt wird, erhält die doppelte Strafe.«
Sie ließen sich von Albino durch die Dämmerung tragen, aneinander geschmiegt und doch unerreichbar fern. Nico setzte Laura bei ihrem Fahrrad ab und verfolgte sie in sicherem Abstand, bis sie wohlbehalten im Palazzo Manzini verschwunden war.
Obwohl er glaubte, die tödliche Dosis an Seelengift bereits empfangen zu haben, lebte er weiter. Und die nächsten Tage brachten neue Schmerzen. Uberto mochte sich wundern, weil das Paar bei den täglichen Sitzungen zum Wohle der Lebensuhr nur noch wenig tuschelte und auch sonst sehr ernst wirkte. Für Nico war es kaum noch erträglich, neben Laura zu sitzen und ihre Enttäuschung wie eine unsichtbare Wand zwischen ihnen zu spüren; jeden Tag schien sie undurchdringlicher zu werden.
Dieses an sich schon infernalische Ambiente betrat dann auch noch ein neuer Asmodi: Genovefa Manzini. Nico hatte sie schon aus dem Kanon seiner persönlichen Plagegeister ausgesondert, aber nun wandelte sie wieder durch die Gänge und Räume des Palastes an der Piazza Umberto I. Nicht er allein fragte sich, was sie so plötzlich in die Arme ihres Mannes zurückgetrieben hatte. War sie nur eine Schickse, wie Meister Johan gesagt hätte, eine leichtlebige Frau, oder hatte sie all die Monate
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