Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
verdienstvoller, und seine Arbeit steht auf einer Stufe mit der des Galilei, da sie ausschließlich der Wahrheitsfindung diente. Dass sie von der – falschen und enttäuschten – Erwartung motiviert wurde, diese Wahrheit wäre am Ende ein Widerhall des Lobliedes ad majorem Dei gloriam, spielt dabei keine Rolle.
Nach seinem Tod wurde auch Darwin von einem hysterischen Christen mit der Lüge verunglimpft, der große, aufrichtige und gequälte Forscher habe bis zuletzt mit der Bibel geliebäugelt. Erst nach geraumer Zeit kam man dem erbärmlichen Schwindler, der dieses Vorgehen für edel hielt, auf die Schliche.
Als Sir Isaac Newton, wahrscheinlich zu Recht, wissenschaftliches Plagiat vorgeworfen wurde, machte er das vorsichtige Eingeständnis – seinerseits ein Plagiat –, er genieße bei seiner Arbeit das Privileg, »auf den Schultern von Giganten« zu stehen. Diese Aussage wäre im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts stark untertrieben. Wann immer mir danach ist, kann ich mich mithilfe eines einfachen Laptops mit Leben und Werk des Anaxagoras, des Erasmus, des Epikur oder Ludwig Wittgensteins vertraut machen. Die Bibliothekslektüre bei Kerzenlicht, ein Mangel an Texten oder Schwierigkeiten, mit Gleichgesinnten Verbindung aufzunehmen, gehören anderen Zeitaltern oder Gesellschaften an und stellen für mich kein Problem dar. Auch muss ich – wenn mir nicht gerade eine unfreundliche Stimme am Telefon den Tod oder die Hölle oder beides an den Hals wünscht – nicht ständig fürchten, dass ich als Folge meiner Veröffentlichungen meine Arbeit verliere, meine Familie ins Exil fliehen muss oder Schlimmeres erleidet, religiöse Schwindler und Lügner meinen Namen nachhaltig in den Schmutz ziehen oder ich vor die schwierige Wahl zwischen Widerruf und Tod durch Folter gestellt werde. Ich kann Freiheiten genießen und aus einem Wissensfundus schöpfen, die für die Pioniere unvorstellbar waren. Im Rückblick auf die lange Zeit vor mir ist gar nicht zu übersehen, dass die Giganten, auf die ich mich stütze und auf deren breiten Schultern ich stehe, allesamt gezwungen waren, in ihren hoch, aber nicht ausreichend entwickelten Kniegelenken ein wenig nachzugeben. Nur ein Mitglied aus der Kategorie Giganten und Genies sprach ohne Angst und übergroße Vorsicht aus, was es dachte. Ich zitiere daher noch einmal Albert Einstein, der so gern verzerrt wiedergegeben wurde. Einem Briefpartner, dem eine dieser vielen Entstellungen Sorgen bereitete, schrieb er:
Was Sie über meine religiösen Überzeugungen gelesen haben, war natürlich eine Lüge, und zwar eine Lüge, die systematisch wiederholt wird. Ich glaube nicht an einen personalen Gott und habe das auch nie geleugnet, sondern es deutlich zum Ausdruck gebracht. Wenn etwas in mir ist, das als religiös bezeichnet werden kann, dann ist es die uneingeschränkte Bewunderung für die Struktur der Welt, soweit unsere Wissenschaft sie offenbaren kann.
Jahre später antwortete er auf eine andere Nachfrage:
Ich glaube nicht an die Unsterblichkeit des Individuums und betrachte die Ethik ausschließlich als eine menschliche Angelegenheit ohne übermenschliche Autorität. [FUSSNOTE80]
Diese Worte kommen von einem Mann, der zu Recht für seine Sorgfalt, sein Augenmaß und seine Skrupel bekannt war und der mit seinem Genie eine neue Theorie entwickelte, die, in die falschen Hände gelangt, nicht nur die ganze Welt, sondern auch ihre gesamte Vergangenheit und ihre Zukunft hätte auslöschen können. Fast sein ganzes Leben lang war er damit beschäftigt, sich gegen die Rolle eines strafenden Propheten zu wehren und stattdessen die Botschaft von der Aufklärung und vom Humanismus zu verbreiten. Als Jude, der als solcher ins Exil getrieben, diffamiert und verfolgt worden war, bewahrte er sich möglichst viel vom ethischen Judaismus, lehnte aber die barbarische Mythologie des Pentateuch ab. Wir haben ihm mehr zu verdanken als all den wehklagenden Rabbinern vergangener und heutiger Tage. Als man Einstein übrigens die erste Präsidentschaft des Staates Israel anbot, lehnte er ab, weil er der Entwicklung des Zionismus kritisch gegenüberstand – sehr zur Erleichterung David Ben Gurions, der sein Kabinett nervös gefragt hatte: »Was machen wir, wenn er Ja sagt?«
Königin Victoria soll in der schwarzen Tracht der Witwe ihren geschätzten Premierminister Benjamin Disraeli gefragt haben, ob er einen unwiderlegbaren Beweis für die Existenz Gottes anzubieten habe. Disraeli zögerte kurz,
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