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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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Übernatürliche einmal beiseite, argumentiert Dennett, das können wir getrost streichen und trotzdem davon ausgehen, dass es immer Menschen gegeben hat, für die der »Glaube an den Glauben« für sich schon etwas Positives ist. [FUSSNOTE45]
    Solche Phänomene lassen sich biologisch erklären. Kann es in primitiven Zeiten nicht so gewesen sein, dass die Menschen mit dem Glauben an Wunderheilungen ihre Moral stärkten und damit auch eine geringfügige, aber spürbar bessere Chance auf tatsächliche Heilung hatten? Sehen wir einmal von »Wundern« und anderem Unsinn ab, so bestreitet nicht einmal die moderne Medizin diesen Gedanken. Von der psychologischen Warte her scheint es möglich, dass es den Menschen besser geht, wenn sie an etwas glauben, als wenn sie an nichts glauben, so unwahr dieses Etwas auch sein mag.
    Vieles wird hier unter Anthropologen und anderen Wissenschaftlern weiter umstritten bleiben, doch was mich schon immer interessiert hat: Haben die Prediger und Propheten auch einen Glauben, oder glauben sie nur an den Glauben? Denken sie sich hin und wieder, dass man es ihnen ja fast zu einfach macht? Und führen sie dann als Rechtfertigung an, dass (a) die armen Kreaturen noch schlimmer dran wären, wenn sie nicht auf mich hörten, oder dass es (b), falls es nicht viel nützt, auch nicht viel schaden kann? Sir James Frazer erklärte in seiner berühmten Studie über Religion und Magie, Der goldene Zweig , ein angehender Medizinmann tue gut daran, die Illusionen der unwissenden Gemeinde nicht zu teilen, denn wenn er die Magie allzu sehr beim Wort nehme, unterlaufe ihm leichter ein Fehler, der seiner Karriere ein Ende setzen könne. Bei Weitem besser sei es, Zyniker zu sein, seine Zauberformeln gut einzustudieren und sich einzureden, dass es am Ende allen besser gehe. [FUSSNOTE46]
    Smith war insofern Zyniker, als er mit dem Hinweis auf seine »Offenbarungen« höchste Autorität für sich beanspruchte und zudem darauf pochte, dass ihm die Besitztümer seiner Gemeinde zustünden und er mit jeder verfügbaren Frau schlafen könne. Jeden Tag kommt so ein Guru oder Sektenführer zur Welt. Smith muss sich gewundert haben, wie leicht er einfältige Kreaturen wie Martin Harris dazu bringen konnte, ihm jedes Wort zu glauben, besonders dann, wenn sie gern einen kurzen Blick auf den verlockenden Goldschatz geworfen hätten. Doch gab es einen Moment, in dem er tatsächlich an seine Bestimmung glaubte? War er bereit, für den Beweis zu sterben? Anders ausgedrückt: War er die ganze Zeit ein Scharlatan, oder saß tief in seinem Innern ein echter Impuls? Die Beschäftigung mit den Religionen hat mir gezeigt, dass sie nie ohne größere und kleinere Betrügereien auskommen werden, dass aber diese faszinierende Frage bis zu einem gewissen Grade offenbleibt.
    In dem Gebiet um Palmyra, New York, lebten damals Dutzende halbgebildeter, skrupelloser, ehrgeiziger und fanatischer Männer wie Smith, doch nur einem gelang der Durchbruch. Das hat wahrscheinlich zwei Gründe. Erstens verfügte Smith allen Berichten – auch denen seiner Gegner – zufolge über großen natürlichen Charme, Autorität und Redegewandtheit, die von Max Weber so bezeichnete »charismatische« Führungsqualität. [FUSSNOTE47]
    Zweitens verlangte es damals viele Menschen nach Land und einem Neuanfang im Westen. Deshalb übte die Prophezeiung eines »Verheißenen Landes« durch einen neuen Führer – und erst recht durch eine neue heilige Schrift – unterschwellig eine große Anziehungskraft aus. Die Wanderbewegungen der Mormonen in Missouri, Illinois und Utah sowie die Massaker, die sie unterwegs erlitten und anrichteten, bekräftigten diese Vorstellung vom Märtyrertum und vom Exil, aber auch das Bild der »Heiden«, wie die Mormonen Nichtgläubige abschätzig bezeichneten. Es ist eine großartige historische Geschichte, die man – anders als ihren Ursprung aus vulgären Erfindungen – mit Respekt lesen kann. Zwei bleibende Makel jedoch haften ihr an. Der erste ist, dass die »Offenbarungen« so plump und offensichtlich erlogen waren und von Smith und später von seinen Nachfolgern so eigennützig improvisiert wurden. Der zweite ist der primitive und abstoßende Rassismus. Christliche Prediger verschiedenster Prägung rechtfertigten vor dem amerikanischen Bürgerkrieg und sogar noch danach die Sklaverei mit der Bibel: Von den drei Söhnen Noahs (Sem, Ham und Japhet) wurde Ham mit einem Fluch belegt und in die Sklaverei getrieben. Doch Joseph Smith

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