Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
Worte Jesajas, Kapitel 29, 11-12 mit der wiederholten Aufforderung zum Lesen hatte sagen hören, verpfändete er seine Farm und zog bei den Smiths ein, um ihnen bei ihrer Aufgabe zu helfen. Harris saß hinter einer quer durch die Küche gespannten Decke, während Smith auf der anderen Seite mithilfe seiner Übersetzungssteine psalmodierte. Zur weiteren Entspannung der Situation wurde Harris gewarnt, wenn er versuche, einen Blick auf die Platten oder den Propheten zu werfen, werde er auf der Stelle tot umfallen.
Mrs. Harris wollte von der ganzen Sache nichts wissen und war stocksauer auf ihren Mann. Sie stahl die ersten einhundertsechzig Seiten und forderte Smith auf, sie noch einmal zu diktieren, was er angesichts seiner Offenbarungskünste hätte können müssen – entschlossene Frauen wie diese tauchen in der Religionsgeschichte viel zu selten auf. Nach ein paar recht unangenehmen Wochen schlug der geniale Smith mit einer weiteren Offenbarung zurück. Er könne das Original nicht reproduzieren, denn es sei durchaus möglich, dass es sich bereits in den Händen des Teufels befinde und damit einer Interpretation nach Art der »satanischen Verse« Tür und Tor öffne. Doch der allwissende Herr hatte Smith mittlerweile mit einigen kleineren Platten versorgt, ebenjenen Platten des Nephi, die eine ähnliche Geschichte erzählten. Unter unendlichen Mühen wurde die Übersetzung wieder aufgenommen, wobei die Schreiber hinter der Decke gelegentlich wechselten. Als sie vollendet war, wurden alle Original-Goldplatten zurück in den Himmel gebracht, wo sie sich offenbar bis zum heutigen Tage befinden.
Einige Mormonen behaupten, ähnlich wie die Muslime, ein Betrug sei völlig ausgeschlossen, denn ein armer, des Schreibens unkundiger Mann hätte einen so großen Schwindel nicht zuwege gebracht. Die Muslime haben zwei hilfreiche Argumente auf ihrer Seite: Wenn Mohammed je öffentlich des Betrugs und der Geisterbeschwörung angeklagt wurde, so liegt uns davon jedenfalls kein schriftliches Zeugnis vor. Zudem birgt das Arabische selbst für den, der die Sprache erlernt hat und flüssig spricht, Unschärfen. Wir wissen jedoch, dass der Koran zum Teil aus älteren Büchern und Geschichten besteht, und auch im Falle Smiths lässt sich einfach, wenn auch in langwieriger Kleinarbeit, nachweisen, dass fünfundzwanzigtausend Wörter aus dem Buche Mormon direkt dem Alten Testament entnommen wurden. Die meisten dieser Stellen kommen aus den Kapiteln des Jesaja, die auch in Ethan Smiths Buch View of the Hebrews: The Tribes of Israel in America abgedruckt sind. Dieses damals sehr populäre Werk eines frömmelnden Verrückten, der behauptete, die amerikanischen Indianer stammten aus dem Nahen Osten, scheint den anderen Smith erst auf die Idee mit der Goldgräberei gebracht zu haben. Weitere zweitausend Wörter aus dem Buch Mormon sind dem Neuen Testament entliehen. Von den dreihundertfünfzig Namen kommen mehr als hundert direkt aus der Bibel, weitere hundert sind so ähnlich, dass man auch hier fast von Diebstahl sprechen kann. Der große Mark Twain bezeichnete das Buch Mormon übrigens als »gedrucktes Chloroform«, und das kann durchaus wörtlich genommen werden, denn die Schrift enthält sogar ein »Buch Esther« [FUSSNOTE44]
Die Wortfolge »Es begab sich aber« kommt mindestens zweitausendmal vor, was zugegebenermaßen einen ziemlich einschläfernden Effekt hat. Jüngere Forschungen haben ergeben, dass auch jedes andere »Dokument« der Mormonen im besten Falle ein magerer Kompromiss und im schlimmsten eine erbärmliche Fälschung ist. Das musste auch Dr. Brodie anmerken, als sie 1973 ihr bemerkenswertes Buch in einer aktualisierten Ausgabe herausbrachte.
Wie Mohammed erlaubte Smith sich göttliche Offenbarungen spontan und nicht selten zum eigenen Vorteil, vor allem dann, wenn er – wie Mohammed – ein Mädchen begehrte und zur Ehefrau nehmen wollte. Das Ende vom Lied war, dass er sich übernahm und einen gewaltsamen Tod fand, nachdem er die armen Menschen, die ihm anfangs gefolgt waren und unter großem Druck sein Diktat aufgenommen hatten, fast alle exkommuniziert hatte. Trotzdem wirft diese Geschichte die mehr als spannende Frage auf, wie sich ein so offensichtlicher Betrug vor unseren Augen zu einer ernsthaften Religion auswachsen konnte.
Professor Daniel Dennett und gleich gesinnte Wissenschaftler haben für ihre »naturwissenschaftliche« Erklärung der Religion viel Kritik einstecken müssen. Lassen wir das
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