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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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unverhohlen dem Christentum entliehenen Begriffen schmückte, jedoch verkündete: »Ich werde für diese Generation ein neuer Mohammed sein.« Als Slogan wählte er Worte, die er dem Islam entlehnt zu haben glaubte: »Entweder der AI-Koran oder das Schwert.« Wie sollte er mit seiner mangelnden Bildung auch wissen, dass man beim Gebrauch des Wortes al keinen bestimmten Artikel mehr braucht? Doch immerhin glich er Mohammed darin, dass er recht geschickt aus anderer Leute Bibeln Anleihen machte.
    Im März 1826 verurteilte ein Gericht in Bainbridge, New York, einen einundzwanzig Jahre alten Mann, weil er »eine aufrührerische Person und ein Hochstapler« sei. Mehr hätte die Welt wahrlich nicht von Joseph Smith erfahren brauchen. Im Prozess räumte er ein, dass er Mitbürger betrogen habe, indem er waghalsige Goldgräberexpeditionen organisierte, und dass er überdies behauptet habe, dunkle oder »nekromantische« Kräfte zu besitzen. Vier Jahre später allerdings tauchte er wieder in den Tageszeitungen auf – es ist alles noch nachzulesen – diesmal als Entdecker des »Buches Mormon«. In seiner Heimatregion genoss er zwei große Vorteile, die den meisten Scharlatanen abgehen. Erstens war er in der gleichen überfrommen Gegend der USA tätig, die auch die Shaker, den bereits erwähnten Endzeitverkünder George Miller sowie einige andere selbst ernannte Propheten hervorgebracht hatte. Weil sie jeder neuen religiösen Modeerscheinung hemmungslos nachjagte, war die Region auch als »burned-over district« bekannt. Zweitens besaß das Gebiet, in dem Joseph Smith agierte, anders als weite Teile des sich soeben erst öffnenden Nordamerika, Relikte einer eigenen Geschichte.
    Eine untergegangene indianische Kultur hatte Grabhügel in großer Zahl hinterlassen. Als man sie ziellos und amateurhaft entweihte, stellte man fest, dass sie nicht nur Knochen, sondern auch recht hoch entwickelte Gegenstände aus Stein, Kupfer und Silber enthielten. Acht solcher Hügel befanden sich in zwanzig Kilometer Umkreis um die mickrige Farm, welche die Familie Smith ihr Heim nannte. Zwei gleichermaßen einfältige Gruppen zeigten großes Interesse daran: Das eine waren die Goldgräber und Schatzsucher, die mit Wünschelruten, Kristallkugeln und ausgestopften Kröten anrückten, die andere Gruppe suchte nach dem Ruheort eines verlorenen Stammes der Israeliten. Smith war so schlau, sich beiden Gruppen anzuschließen, also Gier mit unausgegorener Anthropologie zu verbinden.
    Wie der Schwindel dann ablief, liest sich geradezu beschämend und lässt sich beschämend einfach rekonstruieren. Die beste Beschreibung findet sich übrigens bei Dr. Fawn Brodie, einer Historikerin, die in ihrem Buch No Man Knows My History den gut gemeinten Versuch unternimmt, die relevanten »Ereignisse« einer möglichst freundlichen Interpretation zu unterziehen. Joseph Smith gab bekannt, er sei von einem Engel namens Moroni aufgesucht worden – wie gewöhnlich dreimal. Besagter Engel habe ihm von einem auf Goldplatten niedergeschriebenen Buch berichtet, das nicht nur die Herkunft der auf dem nordamerikanischen Kontinent lebenden Menschen erkläre, sondern auch die Evangelien bestätige. Die beiden Zaubersteine Urim und Tummim aus dem Alten Testament würden es Smith erlauben, das Buch zu übersetzen. Nach langem inneren Kampf habe er am 21. September 1827 die vergrabenen Tafeln geborgen. Das war rund achtzehn Monate nach seiner Verurteilung wegen Betruges. Sodann machte er sich an die Übersetzung.
    Die so entstandenen »Bücher« waren Prophetenberichte, angefangen bei Nephi, Sohn des Levi, der um 600 v. Chr. aus Jerusalem geflohen und nach Amerika gekommen sei. Schlachten, Flüche und Leiden begleiteten sie und ihre zahlreichen Nachkommen auf den nun folgenden Wanderungen. Wie waren die Bücher entstanden? Smith weigerte sich, irgendjemandem die Goldplatten zu zeigen, denn wer immer sie, abgesehen von ihm selbst, zu Gesicht bekäme, sei dem Tod geweiht. Dabei stieß er aber auf ein Problem, das Islamkundigen vertraut sein dürfte. Wie vielfach bezeugt, war Smith zwar ein überaus zungenfertiger und gewandter Redner und Geschichtenerzähler, aber eben auch fast Analphabet, denn er konnte nur schlecht lesen und gar nicht schreiben. Deshalb brauchte er einen Schreiber, der sein erleuchtetes Diktat aufnehmen konnte. Das war zunächst seine Frau Emma und dann, als er noch weitere Hilfe benötigte, ein glückloser Nachbar namens Martin Harris. Nachdem dieser Smith die

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