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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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auf ihn schießen lassen. Falls der Himmel die Pfeile ablenkte, sollte er für echt befunden werden. Wenn er ablehnte, würde man ihn pfählen. Sollten ihm beide Alternativen nicht genehm sein, so gebe es noch die Möglichkeit, zum Islam überzutreten und am Leben zu bleiben. Sabbatai Zwi tat, was wohl jeder normale Mensch getan hätte. Er gelobte, an den einen Gott und seinen Boten zu glauben, und erhielt als Gegenleistung eine Sinekure. Später wurde er in einen fast »judenreinen« Teil des Reiches an der albanisch-montenegrinischen Grenze verbracht, wo er 1676 angeblich an Jom Kippur zur Stunde des Abendgebetes, zu der auch Mose seinen letzten Atemzug getan haben soll, verstarb. Sein Grab konnte trotz intensiver Suche nie eindeutig identifiziert werden.
    Seine verzweifelte Anhängerschaft zerfiel umgehend in zahlreiche Grüppchen. Die einen weigerten sich schlichtweg, an seine Bekehrung oder Apostasie zu glauben. Andere behaupteten, er sei zum Islam übergetreten, um ein noch großartigerer Messias zu sein. Wieder andere meinten, das Ganze sei nur eine Tarnung. Und natürlich gab es auch solche, die sagten, er sei in den Himmel aufgefahren. Seine wahren Anhänger schließlich übernahmen die Doktrin der »Okkultation«, der zufolge – wer hätte das gedacht? – der Messias durchaus nicht gestorben ist, sondern im Verborgenen auf den Augenblick wartet, da die Menschheit bereit ist für seine glorreiche Rückkehr. »Okkultation« ist übrigens der Begriff, den die frommen Schiiten für den seit Langem anhaltenden Zustand des Zwölften Imam oder Mahdi verwenden, der im Jahr 873 im Alter von fünf Jahren verschwand.
    Das war das Ende der Religion des Sabbatai Zwi, die nur in einer winzigen Mischsekte in der Türkei fortlebt. Die sogenannten Dönme folgen nach außen hin islamischen Glaubensregeln, sind aber heimlich dem Judentum verpflichtet. Wäre ihr Stifter hingerichtet worden, so wäre die Religion sicher noch in aller Munde, gäbe es Schismen, Steinigungen und wohlbegründete gegenseitige Exkommunizierungen. Am ähnlichsten ist ihr heute die chassidische Sekte der Chabad, auch als Lubawitscher bekannt, die einst – manche sagen, bis heute – von Menachem Schneerson geführt wurde. Mit Schneersons Tod 1994 in Brooklyn sollte ein Zeitalter der Erlösung anbrechen, das bis heute auf sich warten lässt. Im Jahr 1983 hatte der US-Kongress Schneerson geehrt, indem er seinen Geburtstag offiziell zum Tag der Bildung erklärte. So, wie bis heute einige jüdische Sekten behaupten, die nationalsozialistische »Endlösung« sei eine Strafe für das Exil außerhalb Jerusalems gewesen, gibt es auch solche, die weiter für eine Gettopolitik eintreten und wie ehedem einen Wächter ans Stadttor stellen, der die anderen bei der Ankunft des Messias sofort benachrichtigen soll – eine »dauerhafte Anstellung«, wie einer dieser Wächter einmal rechtfertigend gesagt haben soll. Beim Blick auf diese Religionen, die noch keine sind oder nie eine wurden, könnte sich fast so etwas wie innere Ergriffenheit einstellen, wäre da nicht das dauernde Getöse anderer Prediger, die verlangen, ihren und nur ihren Messias demütig und ehrfürchtig zu erwarten.

Kapitel dreizehn:

Sorgt die Religion für besseres Benehmen?

Ein gutes Jahrhundert, nachdem Joseph Smith der von ihm selbst entfesselten Gewalt und Hysterie zum Opfer fiel, erhob sich in den USA wieder eine prophetische Stimme. Ein junger schwarzer Pastor namens Dr. Martin Luther King predigte die Freiheit seines Volkes, das aus der Nachkommenschaft ebenjener Sklaverei bestand, die Joseph Smith und alle anderen christlichen Kirchen so begeistert unterstützt hatten. Selbst in einem Atheisten wie mir löst es tiefe Gefühle aus, seine Predigten zu lesen oder mir Aufnahmen seiner Reden anzusehen. Dr. Kings »Brief aus dem Gefängnis von Birmingham«, gerichtet an weiße Kirchenleute, die ihn gedrängt hatten, Zurückhaltung und »Geduld« zu üben – mithin zu wissen, was ihm zustand –, ist ein Muster der Polemik. Aus den in eisigem Ton höflich und verbindlich gehaltenen Worten spricht die unumstößliche Überzeugung, dass der ungerechte Rassismus nicht mehr länger hingenommen werden dürfe.
    Die Titel der drei Bände von Taylor Branchs hervorragender Biografie, Parting the Waters, Pillar of Fire und At Canaans Edge, beziehen sich auf Stationen im Alten Testament. Auch rhetorisch beschwor King die Geschichte herauf, die seine Zuhörer am besten kannten und die mit den Worten

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