Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
führte die scheußliche Mär noch weiter und wettert in seinem »Buch Abraham«, die dunklen Rassen Ägyptens hätten diesen Fluch geerbt. Darüber hinaus erfand er die Schlacht von »Cumora«, einem Ort, der praktischerweise in der Nähe seines Geburtsorts lag. Dort hätten die als hellhäutig und gut aussehend beschriebenen »Nephiten« gegen die »Lamaniten« gekämpft, die Gott für ihre Abkehr mit dunkler Hautfarbe bestraft habe. Als sich der Streit über die amerikanische Sklaverei zuspitzte, predigten Smith und seine noch dubioseren Schüler vor Kriegsausbruch in Missouri gegen die Abolitionisten. Feierlich erklärten sie, in der letzten himmlischen Schlacht zwischen Gott und Luzifer habe es noch eine dritte Gruppe gegeben, die versucht habe, neutral zu bleiben. Doch nach Luzifers Niederlage habe sie in die Welt zurückkehren und die verfluchte Abstammungslinie von Kanaan weiterführen müssen; dies sei »die afrikanische Rasse«. Als Dr. Brodie ihr Buch schrieb, war es in der Mormonenkirche noch keinem schwarzen Amerikaner gestattet, auch nur die bescheidene Position eines Diakons zu bekleiden, geschweige denn Priester zu werden. Auch an den geheimen Tempelriten durften die Abkömmlinge des Ham nicht teilnehmen.
Ein schlüssiger Beweis dafür, dass diese Religion vom Menschen gemacht wurde, findet sich in der Art, wie die mormonische Kirchenführung dieses Problem löste. Angesichts der klaren Worte in einem ihrer heiligen Bücher und konfrontiert mit der zunehmenden Verachtung und Isolation, in die es sie manövriert hatte, reagierten sie ähnlich wie zuvor, als ihr Hang zur Polygamie beinahe die Vergeltung der US-Regierung über Gottes eigenes Land Utah gebracht hätte: Sie hatten eine weitere Offenbarung. Um das Jahr 1965 und die Verabschiedung des Bürgerrechtsgesetzes wurde göttlicherseits verkündet, dass Schwarze doch Menschen sind.
Eines sei den »Heiligen der Letzten Tage« zugestanden – diese dünkelhafte Bezeichnung wurde Smiths Originalnamen »Kirche Jesu Christi« im Jahr 1833 hinzugefügt nämlich –, dass sie eine der größten Schwierigkeiten offenbarter Religionen offensiv angingen: Was soll man mit denen anfangen, die vor der exklusiven Offenbarung geboren wurden oder die sterben, ohne an ihren Wundern teilhaben zu können? Die Christen lösten dieses Problem, indem sie Jesus nach seiner Kreuzigung in die Hölle hinabsteigen ließen, wo er die Toten gerettet oder bekehrt habe. In Dantes Inferno gibt es eine schöne Passage, in der Jesus die Geister großer Menschen wie Aristoteles rettet, die vor seiner Ankunft vermutlich schon jahrhundertelang vor sich hin gebrutzelt hatten. In einer anderen, weniger ökumenisch angelegten Szene aus dem gleichen Buch wird dem Propheten Mohammed allerdings in widerlicher Detailfreude der Bauch aufgeschlitzt. Die Mormonen haben diese etwas veraltete Lösung durch eine sehr moderne Komponente optimiert: In einem großen Lager in Utah haben sie eine gigantische genealogische Datenbank angelegt, die sie mit den Namen aller Menschen füttern, deren Geburt, Heirat und Tod seit Beginn der schriftlichen Aufzeichnungen erfasst wurden. Das ist sehr nützlich, wenn man seinen Familienstammbaum erstellen will und nichts dagegen hat, dass seine Vorfahren dadurch Mormonen werden. Die Gemeinden in den Mormonentempeln erhalten jeweils eine bestimmte Anzahl Namen Verstorbener, die sie in einer speziellen Zeremonie durch Gebete in ihre Kirche aufnehmen. Diese nachträgliche Taufe der Toten erscheint auf den ersten Blick harmlos, doch das American Jewish Committee war überaus erzürnt, als es feststellen musste, dass die Mormonen die Unterlagen der nationalsozialistischen »Endlösung« erworben hatten und nun eifrig damit beschäftigt waren, die Angehörigen jener Gruppe zu taufen, die man wahrlich als »verlorenen Stamm« bezeichnen könnte: die ermordeten europäischen Juden. Ungeachtet ihrer rührenden Wirkungslosigkeit zeugte diese Übung von schlechtem Geschmack. Ich fühle mit dem American Jewish Committee, finde aber trotzdem, dass man Mr. Smiths Anhängern gratulieren kann: Für ein Problem, das sich, seit der erste Mensch eine Religion erfand, einer Lösung entzogen hat, haben sie ein höchst einfaches technisches Patentrezept gefunden.
Kapitel zwölf:
Eine Koda: Wie Religionen enden
Es kann gleichermaßen nützlich wie instruktiv sein, einmal einen Blick auf das Ende von Religionen oder religiösen Bewegungen zu werfen. Die Miller-Bewegung etwa hat das
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